17 Stunden Warten für einen Platz im Saal
München (dpa) - Helmut steht seit 17 Stunden an. Er wartet ganz vorn in der Schlange vor dem Münchner Justizzentrum, in dem der NSU-Prozess gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe startet.
„Wenn es gegen Rechts ist, nehme ich alles in Kauf“, sagt der 68-Jährige Münchner, der seinen Nachnamen nicht verraten wollte. Wenn er einen Platz im Saal habe, könne dort schon mal kein Nazi mehr sitzen, erklärt er. Der nächtlichen Kälte trotzt Helmut mit Kaffee aus seiner Thermoskanne. Während er spricht, zittert er trotzdem.
Vor dem Gericht an der Nymphenburger Straße reihen sich Übertragungswagen der Fernsehsender und Polizeibusse aneinander. Unter dem weißen Zelt vor dem Gebäude sind es die Menschen, die sich aufstellen, um in den Saal zu kommen. Journalisten ohne festen Platz genauso wie Bürger, die den Prozessauftakt nicht verpassen wollen. Menschen, die eine rechtsextreme Gesinnung auch mit einem entsprechenden Outfit unterstreichen, waren zunächst nicht zu sehen. Nur die ersten 50 Wartenden dürfen in den Saal A101.
Alle hier warten auf die Frau, die sie bisher nur von wenigen Fotos kennen. Beate Zschäpe wird das erste Mal wieder in der Öffentlichkeit erscheinen und dabei auf die Angehörigen der Menschen treffen, die Opfer der NSU-Terroristen wurden. Nach wochenlanger Debatte um die Sitzplatzvergabe für Journalisten soll mit Prozessbeginn wieder die Aufarbeitung der Verbrechen im Vordergrund stehen.
Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe die Mittäterschaft an zehn Morden, acht davon an türkischen Kleinunternehmern, vor. Mit ihr angeklagt sind vier mutmaßliche Helfer des NSU. Zschäpes Anwälte haben angekündigt, ihre Mandantin werde schweigen.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind gewaltig. 500 Polizisten sind im Einsatz, um die Sicherheit zu garantieren und die angekündigten Demos zu begleiten. Auf dem Vorplatz des Gerichts haben die Beamten Absperrgitter in zwei Reihen aufgestellt. Die Straßen wurden weiträumig abgesperrt, Spezialkräfte überwachen den Luftraum. Konkrete Hinweise auf Anschläge allerdings gebe es nicht, hatte die Polizei noch vor dem Wochenende betont.
Die Beamten sind auf alles vorbereitet - in den Morgenstunden aber bleibt auch der Besucheransturm überschaubar. Die Meisten auf dem Platz hatten mit mehr Gedrängel gerechnet. Stattdessen hat man es sich mit heißen Getränken oder auf - eigentlich verbotenen - Klappstühlen gemütlich gemacht.
Sami Demirel sitzt auf einem Kissen zwischen den Absperrungen. Für ihn geht es heute um mehr, als um die Frau auf der Anklagebank. „Eine schmerzliche Sache“ seien die Taten der NSU für die türkische Gemeinschaft gewesen, erklärt der 51-Jährige Türke, der in Deutschland lebt. Der Verfassungsschutz sei Mitschuld an der Mordserie. Vom Gericht erwartet Demirel deshalb nicht nur einen Schuldspruch. „Sie müssen irgendetwas machen, so dass wir die Gerechtigkeit nicht verlieren“, sagt er, zögert, und setzt hinzu: „Und das Vertrauen.“