Analyse: 1135 Maut-Kilometer mehr für die Speditionen
Berlin (dpa) - Das teure Pflaster für Spediteure ist jetzt 1135 Asphaltkilometer länger. Seit der Nacht zu Mittwoch, Punkt 0.00 Uhr, müssen schwere Lkw auch auf vielen gut ausgebauten Bundesstraßen Maut zahlen, wie es auf den 13 000 Kilometern Autobahn seit sieben Jahren Pflicht ist.
Die Ausdehnung soll mehr Geld hereinbringen, um marode Brücken und Fahrbahnen im Transitland Deutschland besser in Schuss zu halten. Doch gleich zum Start flammen Diskussionen auf: Müssten noch mehr Kilometer etwas kosten, damit der Investitionsstau aufgelöst wird und Maut-Ausweicher nicht durch kleine Orte donnern?
Zum Auftakt der zweiten Maut-Stufe ist Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) in der Premierennacht in die Berliner Zentrale des Mautbetreibers Toll Collect gekommen. Dort gibt es keine großen Bildschirme, auf denen sich Lastwagen als Lichtpunkte blinkend über die Verkehrsadern der Republik bewegen wie Jets auf den Monitoren der Fluglotsen. Und überhaupt fällt der Start eher nüchtern aus.
„Alles, was wir heute machen, ist symbolisch“, sagt Toll-Collect- Chef Hanns-Karsten Kirchmann. Nach einem Computer-Countdown drücken er und Ramsauer auf einen roten Knopf. Und das satellitengestützte System kassiert die Maut seitdem auch auf 84 Bundesstraßen-Abschnitten, die direkt an Autobahnen anschließen und mit zwei Fahrspuren und einem Mittelstreifen fast genauso aussehen - nur dass, die Schilder gelb statt blau sind.
Auf die Auswahl dieser ausgebauten Strecken verweist der Minister denn auch, um Sorgen vieler Kommunen zu zerstreuen, dass es nun zu mehr Maut-Ausweichverkehr auf Landstraßen kommen könnte. Es sei doch „praktisch ausgeschlossen“, dass ein Lkw, der die letzten fünf oder zehn Kilometer zur Autobahn über eine vierspurige Bundesstraße muss, „dann einen großen Bogen macht und durch Dörfer kurvt“.
Die chronische Finanznot beim Erhalt des Straßennetzes soll die Erweiterung wenigstens mildern. „Jeder, der jetzt zusätzlich diese Lkw-Maut bezahlt, hat unmittelbar einen Nutzen davon“, versichert Ramsauer. Die Mehreinnahmen von erhofft 100 Millionen Euro im Jahr kämen direkt der Straße zugute. Auf Autobahnen bringt die Lkw-Maut schon stolze 4,5 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt.
Dabei könnte es noch mehr sein. Umwelt- und Verkehrsverbände fordern, Lastwagen auf dem gesamten, knapp 40 000 Kilometer langen Bundesstraßennetz zur Kasse zu bitten. Oder am besten gleich auf allen Straßen. Doch Ramsauer plädiert dafür, sich angesichts der komplexen Technik lieber „auf solidem Fundament Stück für Stück voranzubewegen“. Und die aktuelle Ausweitung um fast ein Zehntel der mautpflichtigen Kilometer, „das ist doch schon etwas.“
Die Opposition sieht das anders. Die erst mit monatelanger Verspätung eingeführte Bundesstraßen-Maut sei ein Flop, schimpft der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne). Allein 30 Millionen Euro gingen als Vergütung für Toll Collect ab. Die SPD moniert, Ramsauer organisiere selbst massive Einnahmeausfälle, wenn er etwa eine Mautpflicht auch für kleinere Lkw unter zwölf Tonnen ausbremse. „Konsequent wäre es, künftig das gesamte Straßennetz einzubeziehen und Anreize für umweltfreundliche Fahrzeuge zu schaffen“, fordert SPD-Verkehrsexperte Uwe Beckmeyer.
Inwiefern Spediteure die höheren Mautkosten an ihre Auftraggeber durchreichen, wird sich zeigen. Dass auch Supermarktkunden sie eins zu eins zu spüren bekommen, glaubt der Handel wegen des harten Wettbewerbs indes nicht. Die Zeche zahlen dürften vor allem heimische Transportunternehmer, erwartet das Institut der deutschen Wirtschaft. Denn die Routen seien klassische Zubringer zu Autobahnen oder in Großstädte. „Die neue Mautpflicht betrifft damit kaum den von ausländischen Truckern dominierten Transitverkehr.“
Technisch möglich sei eine stärkere Maut-Ausdehnung jedenfalls, sagt Toll-Collect-Chef Kirchmann noch in der ersten Nacht. Für die 1135 Extra-Kilometer wurden nun neue Daten in Bordcomputer von mehr als 720 000 Lkw gespielt. Schon heute könnten allerdings auch Geräte zur Verfügung gestellt werden, „die signifikant mehr Maut erheben könnten als nur auf zusätzlich 2000 Kilometer“.