Analyse: Algerien wider Willen im Kampf gegen den Terror
Algier/Berlin (dpa) - Das algerische Militär fackelte nicht lange. Obwohl es die westlichen Geiseln in höchste Lebensgefahr brachte, griffen die Streitkräfte mit Hubschraubern im Geiseldrama in der von Islamisten eroberten Industrieoase In Amenas ein.
Zuvor hatten die Truppen mit ihrem schnellen Vorrücken offenbar bereits ein Entkommen der Islamisten mit ihren Geisel verhindert.
„Der Mali-Krieg weitet sich auf Algerien aus“, stellt die Zeitung „Le Jour d'Algérie“ erschüttert fest. „Die Zeit des Dialogs ist vorbei. (...) Die Dschihadisten sind schon da.“ Präsident Abdelaziz Bouteflika steht damit vor dem Scherbenhaufen seiner Beschwichtigungspolitik gegen den Terror. Das schwächt seine Stellung gegen das sowieso schon übermächtige Militär zusätzlich.
Dabei hatte Bouteflika alles versucht, um die Mali-Krise nicht in das ölreiche Maghreb-Land überschwappen zu lassen. Denn Frankreichs Intervention stößt dort auf Kritik. Wichtige Parteien wie die sozialistische FFS, die Partei der Arbeiter (PT) und die Nationale Front wettern gegen den Militäreinsatz der einstigen Kolonialmacht. Und das Blatt „El Mudschahid“ unterstreicht ostentativ die Forderung der USA, in Mali eine Verhandlungslösung zu erreichen.
Monatelang hatte Bouteflika im Hintergrund alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Konflikt im südlichen Nachbarland diplomatisch beizulegen. Wann immer Frankreich und die Westafrikaner um Unterstützung für einen Feldzug gegen die Islamisten in Nordmali warben, legte sich der Präsident energisch quer. Sein Argument: Der Krieg lässt sich nicht begrenzen. Ihr stecht in ein Wespennest.
In persönlichen Gesprächen mit französischen Ministern, US-Außenministerin Hillary Clinton, der EU-Außenpolitikerin Catherine Ashton oder dem UN-Mali-Gesandten Romano Prodi hatte Bouteflika nur eine Botschaft: „Keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten.“ Von Afghanistan über Libyen bis Syrien habe kein Krieg die Probleme gelöst. Der Militäreinsatz zum Sturz des Gaddafi-Regimes habe am Ende sogar zum Sieg der Islamisten in Mali geführt.
Algeriens Zurückhaltung kam nicht von Ungefähr. Das großflächigste Land Afrikas ist ein gebranntes Kind. In den 1990er Jahren hatten islamische Terroristen das Regime in einem jahrelangen Zermürbungskrieg an den Rand des Zusammenbruchs getrieben. Die Islamisten waren in den Untergrund gegangen, nachdem das Militär die Parlamentswahl 1991/92 abgebrochen hatte, weil sich ein Sieg der „Islamischen Heilsfront“ abzeichnete.
Wie viele Opfer der brutale Bürgerkrieg vor allem in den Berbergebieten kostete, ist unklar. 150 000 Tote sowie Hunderttausende Verletzte und Traumatisierte gelten als sicher. Nach ihrer Niederlage bildeten die Islamisten zwar mit Gesinnungsgenossen in Nachbarländer die „Terrorinternationale“ Al-Kaida im islamischen Maghreb (AQMI), doch in Algerien schien ihre Macht dauerhaft gebrochen.
Die relative Ruhe hatte sich Bouteflika auch mit einer Politik der „Nationalen Eintracht“ erkauft. Als er 1999 mit Hilfe des Militärs zum Präsidenten gewählt wurde, amnestierte er Tausende inhaftierte Islamisten. Zwei Jahre später akzeptierte er die Berbersprache Tamazight als Nationalsprache neben der Amtssprache Arabisch. Unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings hob Bouteflika 2011 sogar den seit 1992 geltenden Ausnahmezustand auf.
Gleichzeitig rüstete er die Armee massiv mit russischen Waffen auf. Korruption und soziale Not im reichen Algerien beseitigte er aber nicht. Das Gefühl der Perspektivlosigkeit lässt Diplomaten zufolge daher immer noch junge Menschen mit den Islamisten sympathisieren. Etwa 800 Kämpfer soll Al-Kaida nach Schätzungen westlicher Geheimdienste mobilisieren können. Dazu kommen im Maghreb Tausende Dschihadisten anderer Gruppen. Es könnten mehr werden.
Das blutige Geiseldrama in In Amenas droht das schwelende Feuer wieder zu entfachen. Jetzt erregen Schlagzeilen wie „Algeriens Armee bombardiert die Gasanlage in In Amenas“ („Al-Watan“) die Gemüter. Junge Hitzköpfe könnten davon ermutigt werden, in den Untergrund zu gehen, mahnen Experten. Deutsche Sicherheitskreise sprechen von der Gefahr eines Flächenbrandes. Algerien wäre dann mitten drin.