Analyse: Angst um die zweitgrößte Einnahmequelle Tourismus

München (dpa) - Trümmerhaufen, eingestürzte Tempel, Risse in Straßen. Die Bilder aus Nepal lassen das Ausmaß der Zerstörung nur erahnen. Das Erdbeben reißt eines der ärmsten Länder der Welt in Trauer und Verzweiflung.

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Völlig unklar ist, wie lange es dauern wird, bis relative Normalität einkehren kann. Damit wächst auch die Sorge um den Tourismus.

„Es wird den Tourismus sehr zurückwerfen“, sagt Axel Michaels, Leiter der Abteilung Kultur- und Religionsgeschichte Südasiens an der Universität Heidelberg. Tourismus sei die zweitgrößte Einnahmequelle, nach den Jobs der Wanderarbeiter in den Golfstaaten. „Das Land hat nicht viel: Es hat die Natur und die Kultur anzubieten, es hat aber kaum Industrie und lebt ansonsten von der Landwirtschaft und vom Handel. Insofern bedeutet das Wegbrechen dieses Sektors viel.“

Der Himalaya-Staat mit seinen gut 30 Millionen Einwohnern zählt zu den 20 ärmsten Ländern der Erde. Rund 800 000 Urlauber kommen laut dem Deutschen Reiseverband (DRV) alljährlich und bringen Geld ins Land, davon rund 20 000 aus Deutschland. Viele zieht die Berglandschaft um Mount Everest und Annapurna an. Andere locken Tempel, Klöster und das Tiefland Terai mit seinen Elefanten, Nilpferden und anderen Tieren.

In den vergangenen Jahren hatten Anschläge und Ausgangssperren die Reiselust immer wieder gedrosselt. Das Auswärtige Amt riet schon vor dem Erdbeben zur Vorsicht. Endlich hatte sich die Lage nach den Wahlen im November 2013 beruhigt - und so dem Tourismus einen Höhepunkt beschert. Nun der nächste Dämpfer.

„Von aufschiebbaren Reisen nach Nepal wird vorrübergehend abgeraten“, warnt das Auswärtige Amt. Reisen werden derzeit storniert. „Wir mussten drei Gruppen absagen“, sagt der Sprecher von Studiosus-Reisen, Frano Ilić. Es gehe zunächst um die Zeit bis Mitte Mai. Buchungen bis Ende September seien kostenlos umbuchbar. Während des Monsuns sind keine Reisen geplant.

Studiosus, aber auch der DAV Summit Club als kommerzielle Tochter des Deutschen Alpenvereins, wollen danach so bald wie möglich wieder in das Land reisen. „Das ist uns wichtig. Wir wollen das Land nicht von der Karte nehmen“, sagt Ilić. Auch der Summit Club plant vorsichtig für die Trekkingsaison ab Oktober.

Bisher allerdings sei das Ausmaß der Katastrophe gar nicht klar, sagt Joachim Chwaszcza vom Summit Club. „Ein großes Handicap in Nepal ist, dass es fast keine Infrastruktur gibt an Straßen und dass diese wenigen Straßen beschädigt sind.“ Oft sind Dörfer nur zu Fuß erreichbar. Bevor Touristen die Wege mit ihren grandiosen Ausblicken und Hängebrücken wieder als malerische Kulisse begehen, bringen sie andere Fragen: „Das wird ein großes Problem sein, um Hilfsgüter zu bringen“, sagt Chwaszcza.

Der DAV Summit Club ruft zu Spenden auf. Studiosus hat dauerhaft eine Stiftung, die sich um Schulspeisungen für 120 Kinder in einem der ärmsten Viertel Kathmandus kümmert. Die Schule habe nach dem Erdbeben geschlossen werden müssen, Spenden sollen beim Wiederaufbau helfen. Die Reisenden brachten gelegentlich soziales und ökologisches Engagement ins Land. Deutsche engagieren sich etwa beim Bau rauchfreier Küchenöfen. In Nepal kochen viele bis heute im einzigen Wohnraum auf offenem Feuer. Folge sind Atemwegserkrankungen, oft verbrennen sich Kinder. Manche Projekte sind freilich recht lokal - und damit begrenzt wirksam.

Nepal-Kenner sehen den Tourismus als wichtiges Standbein, aber nicht ohne Kritik. Etwa verdient ein Träger für Trekkinggruppen geschätzt etwa das Vierfache wie ein Bauarbeiter. Den Hauptprofit aber machen in Nepal wie in vielen Ländern wenige Reiche.

Und die Touristen kommen mit Ansprüchen. Es sei früher schon so gewesen, „dass das fünfsternige Hotel Wasser hatte, aber das benachbarte Krankenhaus nicht genug“, berichtet der Asien-Experte Michaels. „Daran kann man sehen, dass es Asymmetrien gibt, die nicht richtig sind.“ Während der Urlauber nach seiner staubigen Stadtbesichtigung gedankenlos duscht wie zu Hause, müssen Einheimische Anstrengungen auf sich nehmen. „Die Leute stehen zum Teil nächtelang an, um an Wasser zu kommen.“

Ein Hauptproblem in Nepal bleibt die instabile politische Lage. „Es gibt immer noch keine Verfassung“, sagt Professor Michaels. „Die Parteien lähmen sich gegenseitig. Dadurch gibt es auch keine langfristigen Investitionen in das Land - weil man nicht weiß, ob man sein Geld wiederkriegt.“