Analyse: Anhörung gibt Vorgeschmack auf Sensationsprozess
Kapstadt (dpa) - Niemand in Südafrika kann sich erinnern, dass jemals länger über die Freilassung eines Mordverdächtigen gegen Kaution verhandelt worden wäre: Der Fall des Paralympics-Stars Oscar Pistorius sprengt schon lange vor Prozessbeginn alle bisherigen Dimensionen eines Strafverfahrens in Südafrika.
Vor allem Staranwalt Barry Roux demonstriert mit seiner geschickten Argumentation und dem schonungslosen Entlarven von Ermittlungsmängeln, mit welcher Härte er gedenkt, Pistorius zu verteidigen. Am Donnerstag platzte erstmal die Nachricht über Mordversuch-Ermittlungen gegen den Chef-Ermittler wie eine Bombe in das Anhörungsverfahren.
Zweifellos waren die Ermittlungen gegen Polizeioffizier Hilton Botha noch vor den tödlichen Schüssen auf Reeva Steenkamp (29) wieder aufgenommen worden - aber die Bekanntgabe der wenig aussichtsreichen Ermittlungen gegen Botha spielte den Verteidigern von Pistorius natürlich in die Hände.
Botha, der auf der Jagd nach einem Mörder im Jahr 2009 mit Schüssen einen Kleinbus zu stoppen versuchte, steht zwar kaum ernsthaft im Verdacht, ein Verbrechen begangen zu haben. Aber seine Glaubwürdigkeit war erschüttert. Er musste gehen.
Die Strategie der Verteidigung ist klar: Sie beschuldigt Polizei und Staatsanwaltschaft, Unwahrheiten zu verbreiten und in der konkreten Ermittlungsarbeit zu pfuschen. Die Angaben, es seien im Haus des beinamputierten Profisportlers Steroide gefunden worden, sei ebenso falsch wie die Behauptung, Pistorius besitze in Italien ein Haus.
Auch in der Tatnacht seien im Haus von Pistorius schwere Fehler gemacht worden, sagte Barry Roux. Botha selbst sei im Haus herumgegangen, ohne dass seine Schuhe - wie bei der Spurensicherung vorgeschrieben - verhüllt waren. Die Polizei habe eine Pistolenkugel übersehen und zudem ignoriert, dass es Pistorius selbst gewesen sei, der den Rettungsdienst angerufen habe.
Strittig blieb auch die Frage ob Pistorius beim Schießen seine Prothesen getragen habe oder nicht. Der 26-Jährige war nach seinen eigenen Worten bei Geräuschen im Badezimmer in Panik geraten und habe sich ohne Prothesen im Dunkeln Richtung Badezimmer bewegt.
Die Verteidigung betonte, dass keine ballistischen Ergebnisse vorlägen, die die Angaben stützten, Pistorius habe sich erst die Prothesen angelegt und dann geschossen. Das nämlich würde die These stützen, Pistorius habe überlegt und geplant gehandelt. Noch hat der Staatsanwalt auch nichts über das mögliche Mordmotiv des vermögenden Sportstars gesagt, das es angeblich gibt.
Völlig gleichgültig, ob der 26-Jährige an diesem Freitag freigelassen wird oder nicht - sein bisheriges Leben liegt in Trümmern. Es macht zwar einen riesigen Unterschied aus, ob er schuldig ist oder nicht, schuldig gesprochen wird oder nicht - aber unabhängig davon befindet sich die Sport-Ikone „in einem schrecklichen Alptraum, wie er schlimmer nicht sein könnte“, schrieb der Kolumnist David Bullard. „Es ist schwer, angesichts der öffentlichen Vorverurteilung nicht auch Mitleid mit der tragischen Figur von Pistorius zu haben.“