Analyse: Armee und Kurden kämpfen gemeinsam gegen Isis
Bagdad/Erbil (dpa) - Knapp 100 Kilometer von Mossul entfernt ist von dem Vormarsch terroristischer Brigaden im Irak nichts zu spüren.
Alles sei wie immer, keine Flüchtlinge, keine zusätzlichen Checkpoints, berichten Bewohner der Stadt Erbil - die in den kurdischen Autonomiegebieten des Iraks liegt und von Milizen und Sicherheitskräften der Kurden, den „Peschmerga“, abgeschirmt sind. Doch die Furcht vor einem Einmarsch der Dschihadisten der Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) wächst.
Denn im übrigen Irak sieht die Lage anders aus. Die schwer bewaffneten Extremisten rücken immer näher an Bagdad heran. Sie kontrollieren große Teile der Regionen Ninive, Anbar und Salah ad-Din nordöstlich der Hauptstadt - kurzzeitig auch den strategisch wichtigen Ort Baidschi. Die Stadt rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad verfügt über eine Ölraffinerie und das größte Elektrizitätswerk des Landes, das auch die Hauptstadt mit Strom versorgt.
Die Bedrohung durch die selbst ernannten Gotteskrieger lässt alte Rivalen allmählich zusammenrücken: die irakische Zentralregierung und die Kurden im Nordirak. Bagdad und die Autonomieregion streiten seit Jahren wegen Gebietsansprüchen der Kurden - zum Beispiel auf die erdölreiche Stadt Kirkuk. Im Zwist mit dem Norden ließ die Zentralregierung Bagdad sogar schon Panzer auffahren.
Inzwischen ist die Position von Ministerpräsident Nuri al-Maliki jedoch geschwächt: Sein Bündnis gewann Ende April zwar die Parlamentswahlen, doch sind noch keine Koalitionspartner in Sicht. Der Schiit ist wegen seines autoritären Führungsstils umstritten. Auch das Parlament in Bagdad zögert, ihn über ein Notstandsgesetz mit Sondervollmachten auszustatten.
Kurdische Milizen haben indes in Syrien bereits bewiesen, dass sie durchaus imstande sind, sich den Isis-Kämpfern entgegenzustellen. Diese zählen zu den radikalsten Sunnitengruppen, die im arabischen Raum für einen Gottesstaat kämpfen. Für die irakische Führung nun offenbar Grund genug für die Erklärung, ihre Militärkräfte mit denen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak verbinden zu wollen. Irakische Medien berichteten bereits über Kooperationen zwischen irakischen Sicherheitskräften und „Peschmerga“ - zum Schutz von Kirkuk.
In Mossul herrscht derweil angespannte Ruhe. Dschihadisten patrouillieren in ihren Fahrzeugen durch die Millionenstadt. „Man hört keine Schüsse und sieht keine Sicherheitskräfte“, zitieren irakische Medien Augenzeugen. Die Extremisten hätten die Menschen aufgefordert, ihren Alltagsbeschäftigungen nachzugehen. Geschäfte sind wieder geöffnet, sogar Tankstellen im Betrieb.
Dass die Ruhe trügt, wissen aber gerade die religiösen Minderheiten - wie die Jesiden. Die Religionsgemeinschaft ist unter Kurden verbreitet - deren Glauben vereint Elemente altorientalischer Religionen. Auf Jesiden habe es bereits gezielte Terrorakte der Isis gegeben, sagt Telim Tolan vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland der Nachrichtenagentur dpa. „Die Jesiden haben die Sorge, dass sie wieder als religiöse Minderheit, die von fanatischen Muslimen als Ungläubige betrachtet werden, Opfer gezielter Anschläge werden.“ Denn die meisten der mehr als 700 000 im Irak lebenden Glaubensgenossen wohnten in der Region zwischen Mossul und der syrischen Grenze, also „inmitten der Versorgungslinie“ der Dschihadisten.