Analyse: Aufstand im Land der Pharaonen
Kairo/Istanbul (dpa) - „Tunesien war der Anfang, jetzt ist Ägypten dran“, steht auf einem kleinen Plakat, das ein junger Mann auf dem Kairoer Tahrir-Platz in die Luft hält. Daneben hat er das Gesicht von Präsident Husni Mubarak gepinselt und einen Schuh, der auf Mubarak zufliegt.
Viele ägyptische Jugendliche sind in diesen Tagen auf Krawall gebürstet. Inspiriert vom unrühmlichen Abgang des tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali wollen sie nun in ihrer Heimat einen radikalen Wandel erzwingen.
Zwar gingen am Dienstag zum „Tag der Wut“ landesweit nur etwa 18 000 Menschen auf die Straße, um zu protestieren. Doch für Ägypten, wo Demonstrationen von der Polizei meist mit Gewalt beendet werden, ist das schon ein Massenprotest. Die meisten Demonstranten sind jung. Viele von ihnen haben Zeugnisse in der Tasche, mit denen sie nichts oder nur wenig anfangen können. Das Bildungsniveau ist niedrig. Halbwegs anständig bezahlte Jobs sind oft nur über persönliche Beziehungen oder Bestechung zu bekommen.
Die Demonstranten leisten Widerstand. Erst als sich die Polizei in der Nacht mit Wasserwerfern, Knüppeln und Tränengas einen Weg durch die Menge bahnt, geben sie auf. Einige von ihnen sind aber schon am nächsten Tag wieder da - obwohl das Innenministerium angekündigt hat, man wolle ab sofort keine Protestaktionen mehr dulden und jeden einsperren, der sich über dieses Verbot hinwegsetzt. Einige Dutzend Journalisten und Anwälte protestieren in der Innenstadt. Andernorts rotten sich 200 Jugendliche zusammen. Aber ist das schon ein Volksaufstand?
Auf den ersten Blick ähneln sich die Szenarien in Tunis und Kairo: Ein gealterter Präsident, der schon seit Jahrzehnten im Amt ist, hohe Jugendarbeitslosigkeit und frustrierte westliche Partner, die vergeblich demokratische Reformen anmahnen. Trotzdem kann man die Lage in Ägypten nicht mit der Situation in Tunesien vor dem Sturz von Präsident Ben Ali vergleichen. Denn der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in Ägypten, wo etwa zehnmal so viele Menschen leben, nicht so groß wie in Tunesien.
Die Opposition hat zwar in Ägypten mehr Möglichkeiten sich Gehör zu verschaffen als dies in Tunesien unter dem alten Regime der Fall war, dafür ist sie aber heillos zerstritten. Außerdem ist der Kreis derjenigen, die in Ägypten direkt oder indirekt von den Vergünstigungen profitieren, die Mubarak und seine Nationaldemokratische Partei (NDP) verteilen, viel größer als die Zahl derjenigen, die in Tunesien von Ben Alis Partei mit Posten und wirtschaftlichen Vorteilen versorgt worden waren.
Zwar hat auch ein Teil der ägyptischen Bildungselite die Korruption satt, die ihr Land wie eine Krake im Griff hält. Doch ihnen wäre eine schrittweise Veränderung des Systems viel lieber als ein Aufstand der Hungrigen. Viele von ihnen würden bei freien Präsidentschaftswahlen mit internationalen Beobachtern vielleicht Mohammed al-Baradei wählen, den früheren Chef der Internationalen Atomenergiebehörde. Doch Husni Mubarak und seine Nationaldemokratische Partei (NDP) sind, wenn es um ihren eigenen Machterhalt geht, kompromisslos. Bei Wahlen überlassen sie nichts dem Zufall.
Regierungskritische ägyptische Kommentatoren rufen am Mittwoch zu zu einem Wandel von innen auf. Sie appellieren an die Vernunft der Regierung, weil auch sie nicht wollen, dass es eines Tages zu spät ist - und die Unzufriedenheit zu einem gewaltsamen Umsturz führt. „Ägypten ist wütend über die Korruption und über die Armut, über die Hoffnungslosigkeit und weil es keine Chance gibt für einen Wandel. Ägypten ist wütend, weil dies die schlechteste Regierung in der Geschichte Ägyptens ist und weil diese Regierungspartei niemanden hört oder sieht, nur sich selbst.“, macht sich ein Kommentator der unabhängigen Nachrichtenwebsite „Youm7“ am Mittwoch Luft.
Doch ob ihn jemand hört, ist fraglich. Bislang sieht es jedenfalls so aus, als verließe sich die ägyptische Führung in dieser Krise vor allem auf die Sicherheitskräfte. „Nur keine Schwäche zeigen, nur nicht einknicken“, lautet die Parole. Die Kritik, die diese anti-demokratische Vorgehensweise in Washington und Brüssel hervorgerufen hat, überhören die NDP-Politiker bislang geflissentlich.