Analyse: Berlin tut sich schwer mit Syrien
Berlin (dpa) - Drei Wochen vor der Bundestagswahl ist der Syrien-Konflikt für die deutsche Politik zu einem der wichtigsten Themen geworden.
Die Beratungen über das Vorgehen gegen Machthaber Baschar al-Assad nehmen im täglichen Regierungsgeschäft inzwischen ziemlich viel Zeit in Anspruch. Am Donnerstag telefonierte Kanzlerin Angela Merkel länger mit Russlands Präsident Wladimir Putin und Frankreichs Staatschef François Hollande. Und auch im Wahlkampf kommen mittlerweile weder Merkel noch SPD-Herausforderer Peer Steinbrück um das Thema herum.
Die CDU-Chefin spricht bei ihren Auftritten in der Regel nun von „sehr, sehr ernsten Zeiten“. Nach bald zweieinhalb Jahren Bürgerkrieg mit mehr als 100 000 Toten sei der mutmaßliche Giftgaseinsatz durch Assads Truppen eine Zäsur, die nicht ungestraft bleiben dürfe. Doch wie genau die „Konsequenzen“ aussehen könnten, von denen die Bundesregierung seit Beginn der Woche spricht, lässt Merkel nach all ihren Telefonaten immer noch offen. Die Taktik ist bekannt: Bloß nicht festlegen. Überraschender ist, dass die Tonlage bei Steinbrück ganz ähnlich ist.
Der Spagat zwischen dem Ruf nach einer Strafaktion und Zurückhaltung hat eine ganze Reihe von Gründen. Merkel will unbedingt vermeiden, dass ihre schwarz-gelbe Regierung außenpolitisch noch einmal ins Abseits gerät: Der Ärger nach der deutschen Enthaltung zum Libyen-Einsatz im UN-Sicherheitsrat 2011 ist allen in schlechter Erinnerung. Damals war man in Berlin einfach nicht auf dem Stand der Dinge, als die wichtigsten Partner ihre Bedenken gegen ein militärisches Vorgehen aufgaben.
Umso mehr wird jetzt betont, in welch enger Abstimmung man sich gegenwärtig mit Frankreich, den USA und Großbritannien befindet - den Staaten, die den Militärschlag gegen Assad wohl tragen werden. Vor allem Außenminister Guido Westerwelle (FDP) - wegen Libyen schwer gescholten - versäumt keine Gelegenheit, um darauf hinzuweisen. Trotzdem ist die Bereitschaft, bei einem Militärschlag mit Bundeswehr-Soldaten dabei zu sein, erkennbar gering - auch genährt von Umfragen, wonach zwei Drittel der Bundesbürger dagegen sind.
Für die Vorsicht gibt es noch andere Gründe. Zwar hat man in Berlin kaum noch Zweifel daran, dass hinter dem Giftgasangriff das Assad-Regime steckt. Doch hundertprozentig sicher ist man nicht. Auch die Rebellen hätten Raketenwerfer, mit denen Giftgasgranaten verschossen werden können, heißt es in Sicherheitskreisen. Die Kanzlerin dürfe einen Militärschlag nicht zu lautstark unterstützen - für den Fall, dass wie beim Krieg gegen Iraks Diktator Saddam Hussein 2003 irgendwann doch noch die Beweise fehlen.
Vor allem aber wird die Zurückhaltung mit der deutschen Rechtslage begründet. Ohne Mandat für einen Einsatz in einem „System kollektiver Sicherheit“ - Vereinte Nationen, Nato, Europäische Union - komme eine militärische Unterstützung durch die Bundeswehr sowieso nicht in Frage. Eine einheitliche Haltung im UN-Sicherheitsrat liegt wegen der Blockade durch die Vetomächte Russland und China jedoch in weiter Ferne. „Zum Glück für uns“, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Nach offiziellen Regierungsangaben gibt es von den USA oder anderen Partnern bislang keinerlei Anfragen nach militärischer Unterstützung. Auch das mag mit dem Wahltermin am 22. September zusammenhängen. „Wir haben Wahlkampf“, sagt der Syrien-Experte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Das ist keine gute Zeit, um in den Krieg zu ziehen. Das verstehen auch andere.“
Und was die Opposition im eigenen Land angeht: SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück hielt sich bei der Vorstellung seines 100-Tage-Programms am Donnerstag mit Kritik an der offiziellen Syrien-Politik merklich zurück. Bis auf die Ausnahme, dass er die Forderung seines Parteichefs Sigmar Gabriel unterstützte, Merkel müsse sofort zu einer Vermittlungsmission nach Moskau aufbrechen. Die Kanzlerin beließ es trotzdem bei einem Telefonat. Anschließend hieß es, Putin und Merkel seien sich einig darin, dass der Konflikt nur politisch gelöst werden könne.