Analyse: Brisante Doppelrolle für den „Geheimdienst Ihrer Majestät“
London (dpa) - Eine Doppelagent ist per Definition ein Agent, der so tut, als stünde er auf der einen Seite und in Wahrheit aber für die andere arbeitet.
Großbritanniens Premierminister David Cameron ist sicher kein Spion - aber auch er ist in einer Doppelrolle. Sein Horchposten GCHQ arbeitet seit Jahrzehnten aufs Engste mit der amerikanischen NSA zusammen und sammelt gezielt und strukturiert Informationen in Europa und weit darüber hinaus - offiziell zur Terrorabwehr. Der Juniorpartner aus dem Heimatland von James Bond gilt sogar als besonders eifrig.
Im Angesicht der Spionage-Krise sah sich Cameron zur Solidarität mit seinen europäischen Kollegen gezwungen. Im Kreise der 28 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union unterzeichnete der Premierminister eine Erklärung, die aufruft, „Vertrauensverluste“ zwischen Europa und den USA zu vermeiden. Das mutmaßliche jahrelange Mithören von US-Spionen auf Bundeskanzlerin Angela Merkels Mobiltelefon zwang auch Cameron zu öffentlichen Krokodilstränen. „Was Angela (Merkel) und François (Hollande) tun wollen, ist sehr vernünftig“, erklärte Cameron mit Blick auf den geplanten Vorstoß Deutschlands und Frankreichs in Richtung USA.
Cameron gibt sich jedoch nicht allzu viel Mühe, seine wahre Haltung zu verbergen. Schon bei der Pressekonferenz zum Abschluss des EU-Gipfels verteidigte er das Abfangen von Daten auf Handys, E-Mails und anderen Kommunikationswegen im großen Stil. „Wir brauchen diese Leute“, sagte Cameron über die Spione. Ihre Arbeit sei wichtig für den Kampf gegen den Terrorismus. Wer Details verrate, wie der „Whistleblower“ Edward Snowden, sei ein „Feind“.
Und übrigens: Großbritannien sei und bleibe gemeinsam mit den USA, Neuseeland, Australien und Kanada Mitglied der „Five Eyes“, der großen Fünf der westlichen Spionage. „Newcomer“ hätten dort nichts verloren, machte Cameron angesichts von Versuchen Deutschlands und Frankreichs klar, die die Affäre zur Aufnahme in den erlauchten Kreis nutzen wollten. Die Botschaft ist eindeutig: Die Briten haben sich in Sachen Spionage eine Sonderrolle in Europa erarbeitet und denken nicht daran, diese politischem Druck von Außen zu opfern.
Cameron, in dessen Land die Zeitung „The Guardian“ die Spionageaffäre mit den Enthüllungen Snowdens überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte, sitzt zwischen den Stühlen. Nachdem seit Wochen Vorwürfe im Raum stehen, britische Abhörspezialisten hätten eine belgische Telekom-Firma angezapft, kamen auch in Italien Vorwürfe auf. Das GCHQ soll dort im Auftrag der Regierung Wirtschaftsspionage zum Wohl britischer Firmen betrieben haben.
Seit längerer Zeit ist dank Edward Snowdens Enthüllungen bekannt, dass die Briten auf Zypern einen Abhörposten betreiben, der das Unterseekabel im Mittelmeer anzapft und damit Zugang zum praktisch gesamten Datenverkehr in die Länder des Nahen Ostens haben - angesichts beachtlicher Ströme arabischer Petro-Dollars in Richtung Großbritannien ein besonders heißes Eisen. Auch etwa in Sizilien gibt es Knotenpunkte von Unterseekabeln und damit günstige Zugangsstellen für technische Spione.
Bisher gelingt es Cameron und seinen Leuten, in der Heimat die Debatte über die britische Rolle in der Spionageaffäre kleinzuhalten. Es sind eher vereinzelte Rufer wie der geschasste Energieminister Chris Huhne, die mehr Transparenz fordern. Das mag auch am Zeitungskrieg in Großbritannien liegen - vor allem die konservativen Blätter wie „Daily Mail“ und „Daily Telegraph“ sind in Konkurrenz zum „Guardian“ auf die Regierungslinie eingeschwenkt und verteufeln jede Enthüllung als „Geschenk an Terroristen“.
Auch dank einflussreicher politischer Lobbyisten schafften es die Spione von GCHQ sowie der anderen beiden Geheimdienste MI5 und MI6, sich gegen die drei großen Parteien durchzusetzen und die Gerichtsverwertbarkeit von geheimdienstlich gewonnenen Beweisen zu verhindern, wie der „Guardian“ unter Berufung auf Snowden-Dokumente berichtete. Begründung: Eine „schädliche öffentliche Debatte“ sollte im Mutterland der modernen Demokratie verhindert werden. „Die Technologie ist der Politik davongelaufen“, resümiert die „Times“