Analyse: Dafür oder dagegen?
Berlin (dpa) - Jürgen Trittin kämpft: „Wie glaubwürdig wäre es, wenn wir gegen unsere eigenen Anträge stimmen würden?“, ruft der Grünen-Fraktionschef den bis zu 800 Delegierten des Sonderparteitags zu.
Es ist 13.12 Uhr, als die Worte im Applaus untergehen.
Niemand soll dem Partei-Linken vorwerfen können, er ringe nicht um die Stimmen der Kritiker in den eigenen Reihen. Viele folgen der Führung bei der Zustimmung zu den Atomausstiegsplänen der schwarz-gelben Regierung bis 2022 in hitziger Debatte - doch bei weitem nicht alle.
Nicht weniger laut brandet Beifall auf, als wenig später eine Delegierte warnt: „Wenn wir jetzt zustimmen, dann geben wir dem Atomkonsens der Frau Merkel das grüne Gütesiegel.“ Schließlich wollen die Grünen schon bis 2017 raus aus der Atomkraft. Grüne-Jugend-Chefin Gesine Agena ätzt an die Adresse der Parteioberen, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe alles andere als einen Konsens gesucht: „Ihr durftet kurz vorfahren und Euch von Merkel erzählen lassen, was Sache ist.“
Worum geht es? Für die Abstimmung über die Atomgesetznovelle am Donnerstag im Bundestag eigentlich um - nichts. Denn die Koalition braucht die 68 Stimmen der Grünen nicht. Doch zugleich steht einiges auf dem Spiel: Beendet Deutschland mit dem Segen der hartnäckigsten Anti-Atom-Partei das Kernkraftzeitalter? Der Vorstand betont in seinem Leitantrag: „Damit wird ein erneutes Aufbrechen der Vereinbarung politisch nahezu unmöglich.“
Agena und andere Nein-Sager entgegnen: „Unumkehrbar ist dieser Atomausstieg nicht.“ Wenn es schlecht laufe, werde nach der Bundestagswahl 2021 noch schnell alles zurückgedreht. Fukushima sei dann bei vielen vergessen. „Warum sollen wir Frau Merkel glauben?“, fragt der Delegierte Peter Alberts aus Münster. Die Atomexpertin der Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, will ein Ja an scharfe Bedingungen knüpfen: „Deshalb bitte ich Euch um das Mandat für Verhandlungen.“
Die grüne Vize-Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, entgegnet, man müsse doch überlegen, „ob eine faire Verhandlungsmöglichkeit für die Grünen überhaupt besteht“. Merkel werde der ohnehin im Höhenflug befindlichen Ökopartei wohl nicht entgegenkommen. „Das ist ein strategisches Dilemma.“ Doch Bedingungen hinsichtlich eines früheren AKW-Endes, eines Baustopps für Gorleben oder mehr Sicherheit für die Meiler brächten nichts.
Geschickt hat die Parteitagsregie die Gastredner ausgesucht. Großen Beifall bekommt Klaus Töpfer - der Chef der Ethikkommission zur Energiewende und CDU-Politiker wirbt für einen Ausstieg als Gemeinschaftswerk. Und Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, umschmeichelt beide Seiten: „Das ist nicht Schwarz-Weiß.“ Doch auch er rät zum breiten Konsens. „Davon ginge national und international ein nicht zu unterschätzendes Signal aus.“ Die Nein-Sager der Anti-AKW-Bewegung wie Aktivist Jochen Stay haben ihren Part vor allem vor der Tür des Parteitags.
Ohnehin meinen die führenden Grünen, es sei ihr Erfolg, dass die Kanzlerin die Laufzeitverlängerung vom Herbst 2010 zurückgenommen habe. „Da muss jeder, der für 2017 ist, für 2022 stimmen und darf nicht für 2040 stimmen - das ist die Abstimmung, um die es geht“, fordert Trittin.
Um was geht es also für die Grünen? Schon bei der Begrüßung weist Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke mahnend auf die jüngsten Wahlerfolge hin. Immer wieder während der Reden wird ein gelassener Delegierter auf der Großleinwand eingeblendet: Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg, der erste grüne Ministerpräsident. Führende Parteistrategen fürchteten im Vorfeld eine Niederlage für den Vorstand als Menetekel für die weiteren Weg der Partei. Kompromissbereit? Verantwortungsbewusst? Regierungstauglich? Und auch für etwas - statt vor allem dagegen?
Die Konkurrenz scharrt hingegen mit den Füßen, wie etwa FDP-Chef Philipp Rösler. „Immer dafür und jetzt, wenn's ernst wird, kneifen - so taktieren sich die Grünen ins Abseits“, sagte bereits er vor dem Parteitag dem „Hamburger Abendblatt“.