Analyse: Die Exporteure des Terrors

Tunis (dpa) - Trotz ihrer Erfolge gegen die Terroristen des Islamischen Staates (IS) dürfte sich die Feierlaune bei der an diesem Mittwoch beginnenden Anti-IS-Konferenz in Washington in Grenzen halten.

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Das Herrschaftsgebiet der Dschihadisten im Nahen Osten ist nach Angaben des Pentagon zwar drastisch geschrumpft - um 45 Prozent im Irak und 20 Prozent in Syrien - doch der IS verlagert den Krieg und exportiert den Terror in den Westen. Dafür brauchen die Dschihadisten nicht einmal mehr Bomben und auch kein Maschinengewehr.

Nach dem Angriff in einem Regionalzug bei Würzburg lassen erste Hinweise vermuten, dass der Täter durch Dschihad-Propaganda im Internet radikalisiert worden war. Der 17 Jahre alte Afghane ging mit einer Axt auf seine Opfer los. In Nizza reichten dem Attentäter am Nationalfeiertag der Franzosen ein Führerschein und ein Fahrzeug.

Als Mohamed Lahouaiej-Bouhlel mit dem weißen Lastwagen über die Promenade des Anglais raste und mindestens 84 Menschen zu Tode fuhr, wusste die IS-Führung im fernen Kriegsgebiet vermutlich nichts von der Tat. Zwei Tage später verbreiteten die IS-nahe Nachrichtenagentur Amak und der IS-Radiosender Al-Bajan aber die Nachricht, der 31-jährige Tunesier sei „ein Soldat“ des Kalifats gewesen. Wie auch jetzt in Würzburg reklamierte der IS den Anschlag für sich, ohne weiteres Insiderwissen preiszugeben. Deutlich wird dadurch vor allem, dass die Dschihadisten ihr terroristisches Repertoire in den vergangenen Jahren erweitert haben.

„Al-Kaida wollte immer große Anschläge verüben“, schreibt Terrorismusforscher Peter Neumann vom King's College in London. „Ihnen ging es um ein zweites 9/11 (die Anschläge vom 11. September 2001) oder zumindest um etwas Vergleichbares, wie die Anschläge in London und Madrid.“ Der IS verstehe es im Gegensatz zu Al-Kaida deutlich besser, dass selbst kleine Attentate für große Furcht in der Bevölkerung sorgen. „Einsame Wölfe wurden als Verlierer angesehen, die ihr Leben für Aktionen vergeuden, die niemanden interessieren“, analysiert Neumann.

Doch schon mit den Enthauptungsvideos westlicher Geiseln zeigte der Islamische Staat, dass es keine monatelangen Vorbereitungen für hochkomplexe Operationen braucht. Terrorattacken durch Einsame Wölfe haben einen ungeheuren psychologischen Einfluss auf den Westen.

Im September 2014 rief IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani in einer 42-minütigen Ansprache Anhänger überall auf der Welt dazu auf, Anschläge zu verüben: „Wenn ihr keine Bombe oder keine Kugeln habt, dann zertrümmert ihre Köpfe mit einem Stein, schlachtet sie mit einem Messer, überfahrt sie mit euren Autos oder werft sie von einem hohen Gebäude.“ Die Propaganda des IS läuft auf allen Kanälen: In sozialen Netzwerken, auf Youtube oder in geheimen Chatgruppen. Oft dürften die Urheber selbst gar nicht wissen, wo ihr radikales Weltbild auf offene Augen und Ohren stößt.

„Diese Menschen sind in einer Krise, sind unzufrieden und suchen nach einem Platz, wo sie sich wohlfühlen“, sagt der Berliner Psychologe und Programmdirektor der European Foundation for Democracy, Ahmed Mansour, der früher selbst in radikal-islamistischen Kreisen unterwegs war. „Es sind Menschen, die einen ungeheuren Hass auf die Menschen, ihre Werte und die Gesellschaft haben, wo sie nie angekommen sind.“

Die verschiedenen Terrorgruppen würden unterschiedliche Typen von Anhängern anziehen, ist sich Mansour sicher. Beim IS seien es vor allem Menschen, die schon einmal Gewalt ausgeübt haben oder mit dem Gesetz in Konflikt standen. „Während die Gesellschaft das nicht akzeptiert, werden sie von der Ideologie des IS sogar noch für ihre Gewaltaffinität belohnt. Genauso wie von ihrem nächsten Umfeld - und letztlich sogar von Gott“, sagt Mansour.

Die Vorgehensweise der Einzeltäter ist jedoch nicht neu. In der Vergangenheit kaperten etwa radikale Palästinenser Baustellenfahrzeuge und töteten bei Amokfahrten viele Menschen. Hausfrauen und Jugendliche griffen mit Messern Soldaten in der Jerusalemer Altstadt an. Als die Hamas die Macht im Gaza-Streifen übernahm, stürzte sie politische Gegner von Hausdächern. Neu ist nur, dass diese Taktiken jetzt auch den Westen treffen. Die Klaviatur der weltweit operierenden Terroristen ist breiter geworden.

Ob der Attentäter von Nizza, Mohamed Lahouaiej-Bouhlel, direkte Kontakte zum Terrornetzwerk hatte, ist den französischen Behörden nicht bekannt. Auch zum Würzburger Attentäter liegen dazu keine Erkenntnisse vor. Ein direkter Kontakt sei aber auch nicht nötig, meint Psychologe Mansour: „So eine Tat, so eine Aggressivität und Menschenverachtung kann man nur mit einer Ideologie erklären.“

Die Attentäter versuchten, ihre Tat religiös-ideologisch zu rechtfertigen. Eine Studie des University College London untersuchte 2014 mehr als 100 Taten von Einsamen Wölfen. Demnach standen viele Täter unter hohem Stress, hatten ihren Job verloren, private Probleme oder waren sozial isoliert. Die Studie zeigte aber auch, dass Einsame Wölfe häufig gar nicht so einsam waren.

Die Dschihadisten passen ihre Terror-Strategie der Umgebung an: Im Irak große Autobombenanschläge gegen Schiiten, um die „Abtrünnigen“ zu töten. Der IS hat dort das Personal und die Logistik vor Ort, ein chaotischer Sicherheitsapparat macht es den Terroristen leicht. In Ägypten war es offenbar möglich, eine Bombe an Bord eines russischen Flugzeuges zu schmuggeln, versteckt in einer Getränkedose. Der IS bekannte sich später zu dem Anschlag, der das Flugzeug mit 224 Menschen Bord über der Sinai-Halbinsel zum Absturz brachte.

Im Westen ist es eine Mischung aus komplexen Operationen, die mutmaßlich von der Führung beauftragt worden sind - wie etwa den koordinierten Angriffen in Paris im November vergangenen Jahres - und der Taten Einzelner, die sich wie in Orlando im Nachhinein auf den IS beziehen oder die in die Propagandastrategie des IS passen und daher später als Tat der Terrormiliz reklamiert werden. Es ist eine asymmetrische Kriegsführung, die überall zuschlagen kann.

Je stärker das Kalifat geografisch im Nahen Osten unter Druck gerät, desto mehr dürfte der IS den Kriegsschauplatz in den Westen verlagern. Ähnlich wie der Konkurrent Al-Kaida entwickelt sich die Miliz immer mehr zu einem globalen Netzwerk.