Analyse: Die lange Nacht des Sparens

Brüssel (dpa) - Es ging darum, möglichst alle Regierungschefs Europas gleichermaßen glücklich und unglücklich zu machen. Nur dann bestand Hoffnung, dass sich der Brüsseler Gipfel auf Einsparungen im künftigen EU-Haushalt einigt.

Das gelang. Aber die Finanzplanung ist nicht beschlossen.

„Mein größtes Problem: Ich habe nicht daran gedacht, dass ich eine Zahnbürste brauchen würde“, sagte Dalia Grybauskaite, die Staatspräsidentin Litauens. Da war es Freitagmorgen 04.00 Uhr in Brüssel. Seit 13 Stunden rangen die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten schon um die EU-Finanzplanung und noch war kein Ende absehbar. Erst kurz nach 06.00 Uhr gab es eine erste grundsätzliche Einigung, aber bis zum Ende sollte es noch einmal Stunden dauern. Die EU-Regierenden hatten sich mühsam zusammengerauft. Doch die Frage, wieviel Geld die EU in den Jahren 2014 bis 2020 ausgeben darf, ist noch nicht abschließend beantwortet.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte den übernächtigten Gipfelteilnehmern das Ja-Wort zu einer beispiellosen Finanzplanung abgerungen, seine vermutlich schwerste Mission. Seit ihrer Gründung 1957 hat die EU jedes Jahr etwas mehr Geld ausgegeben - und nun soll es erstmals weniger sein. Und das, obwohl die EU immer größer wird (in diesem Sommer kommt Kroatien hinzu), und obwohl sie immer mehr Aufgaben übernimmt. Diese historische Wende gelang nicht nur dank des Schlafentzugs für die „Chefs“, sondern auch dank des Drucks der Wirtschafts- und Finanzkrise. Die lastet schwer auf den nationalen Haushalten und auf der Psyche der Wähler in den Mitgliedsstaaten.

Die sehr unterschiedlichen Befindlichkeiten innerhalb der EU erforderten die Quadratur des Kreises: Die reichen Länder wollten weniger zahlen als bisher, die ärmeren Länder wollten nicht weniger Finanzhilfen für ihre Modernisierung. Frankreichs Präsident François Hollande wollte Geld für die heimische Landwirtschaft, Kanzlerin Angela Merkel wollte die Strukturförderung für Ostdeutschland retten, Großbritanniens Premierminister David Cameron wollte möglichst brutale Kürzungen vor allem im Personalsektor, Österreichs Kanzler Werner Faymann wollte seinen Rabatt nicht verlieren, und die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt wollte einen Rabatt bekommen. Nach dem Prinzip „Jedem etwas und niemandem alles“ mussten alle Regierungschefs Abstriche machen, aber niemand musste mit leeren Händen heimreisen.

Eigentlich hatte Van Rompuy gehofft, die Gipfeldebatte rasch im Plenum führen zu können. Stattdessen musste er am Donnerstag fünf Stunden lang mit einzelnen Regierungschefs im Hinterzimmer feilschen, bevor er den Gipfel endlich eröffnen konnte. Und in der Nacht zum Freitag dann musste er die Sitzung wieder mehrfach unterbrechen. Schließlich verordnete er am Vormittag noch einmal eine Pause: Es bestand ein großes Bedürfnis nach Duschen, Zahnbürsten und Rasierapparaten.

Mit ihrer schweren Geburt ist die Finanzplanung aber noch nicht über den Berg. Nach dem Willen der Regierung sollen die Zahlungsermächtigungen „nur“ 908,4 Milliarden Euro betragen. Die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen, die über die Finanzperiode hinweg reichen können, sollen 960 Milliarden Euro betragen.

Der sozialdemokratische EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte die Regierungschefs zu Beginn des Gipfels: Zu starke Kürzungen führten zu einer „Defizit-Union“. Denn Verpflichtungen aus früheren Jahren führten irgendwann einmal zu Zahlungen, für die Geld vorhanden sein müsse. Und Schulz warnte, die große Mehrheit der EU-Abgeordneten könne die gesamte Finanzplanung platzen lassen. Darüber ist aber das letzte Wort noch nicht gesprochen: Auf jeden Fall wolle man mit den Regierungen noch einmal verhandeln, hieß es im Parlament.