Analyse: Die Nato nach wie vor zerstritten
Berlin (dpa) - Ein tiefer Riss geht durch die Nato. Beim Außenministertreffen des Bündnisses sorgt Libyen für Streit. Die Verbündeten haben da sehr unterschiedliche Ansichten. Händeringend suchen sie eine gemeinsame Linie.
Die gute Laune hält sich in Grenzen. Ärger zwischen den Verbündeten über das weitere militärische und politische Vorgehen in Libyen überschattet ein Treffen der Nato-Außenminister, das am Donnerstag in Berlin beginnt. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wird, so sagen Diplomaten in Brüssel, alle Hände voll zu tun haben, um Kompromissformeln zu finden, die den politischen Schulterschluss der Verbündeten beweisen sollen.
Es sind nicht nur die 28 Außenminister des Nordatlantischen Bündnisses, die Bundesaußenminister Guido Westerwelle als Gastgeber begrüßt. Nicht weniger als 48 Außenminister vertreten die Truppensteller der Afghanistan-Streitmacht Isaf, hinzu kommen die Außenminister Russlands, Georgiens und der Ukraine zu gesonderten Treffen. Summa summarum bahnen sich zwei Tage lang fast 60 Minister mit 800 Begleitern den Weg durch jene Straßen der deutschen Hauptstadt, die nicht gerade wegen des Staatsbesuchs der niederländischen Königin Beatrix gesperrt sind.
Die massive Kritik des französischen Außenminister Alain Juppé, wonach die Nato militärisch in Libyen „nicht genug“ tue, wird zumindest teilweise vom Briten William Hague geteilt. Auch wenn dieser betonte, es sei schon „eine große Menge erreicht“ worden, fordert er: „„Wir müssen unsere Anstrengungen in der Nato fortsetzen und intensivieren.“ Die Nato, die seit nunmehr zwei Wochen mit 200 Flugzeugen und 20 Schiffen den internationalen Militäreinsatz (Schiffsblockade, Flugverbotszone und Schutz der Zivilbevölkerung) führt, wies den Vorwurf der Untätigkeit empört zurück: „Bisher leisten wir ziemlich gute Arbeit.“
Westerwelle, der auf dem gemeinsamen Rückflug von der Libyen-Kontaktgruppe in Doha mit Rasmussen über die Nato, Deutschland und ein möglichst harmonisches Berlin-Treffen reden wollte, hatte sich noch vor dem offiziellen Beginn der Beratungen mit Juppé zum Einzelgespräch verabredet. Beim Thema Libyen sind der Hardliner aus Frankreich und der Deutsche, der im UN-Sicherheitsrat Enthaltung anordnete und dem Nato-Einsatz fernblieb, meilenweit auseinander.
Nato-Militärs verweisen darauf, dass die von Paris und London geforderte Verstärkung der Luftschläge gegen die Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi nicht ganz einfach ist. Die Nato führe nämlich keinen Krieg gegen Gaddafi, sondern setze die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates um. Diese soll die Zivilbevölkerung vor Angriffen der Regierung schützen. Das UN-Mandat setze daher dem militärischen Handeln der Nato durchaus Grenzen. Russland meint ohnehin, die Nato-Interpretation, Gaddafis Panzer und schwere Waffen seien grundsätzlich eine Bedrohung von Zivilisten, sei reichlich gewagt.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wird auch beim Nato-Treffen in Berlin erwartet. Sie lässt gerade eine Militäroperation der EU zum Schutz humanitärer Hilfe vorbereiten - sofern die Vereinten Nationen sich eines anderen besinnen und doch noch um diesen Einsatz bitten. Sie dürfte sich unter anderem dafür interessieren, dass auch die Nato einen solchen „humanitären Einsatz“ plant. Der deutsche General Manfred Lange, Nato-Stabschef, vertraute der Deutschen Welle bereits an, beim Schutz von möglichen Hilfsaktionen könne es auch zu einem „zeitlich befristeten Einsatz von Landstreitkräften“ kommen.
Im Vergleich zu Libyen sind die anderen Themen der Nato-Konferenz geradezu einfach. In Sachen Afghanistan, wo im Juli die Übergabe von Sicherheitsverantwortung an die Afghanen in sieben Regionen beginnt, wird eine „dauerhafte Partnerschaft“ beschlossen. Sie soll den Afghanen das Gefühl geben, auch nach dem Abzug der internationalen Soldaten nicht allein zu sein.
Spannender wird es bei Beratungen über die neue Raketenabwehr in Europa: Hier spielt sich der Streit zwischen der Nato und Russland ab. Moskau möchte einen gemeinsamen Befehlsstand für diese Abwehr - das lehnen die Nato-Staaten rundweg ab. Sollte es keine Einigung geben, so könnten die Beziehungen zwischen dem Bündnis und Russland dauerhaft leiden.