Analyse: Ein Signal für den Bund?

Berlin (dpa) - Zeitenwende. Erstmals sind SPD und Grüne Juniorpartner in einer Regierung mit einem Ministerpräsidenten der Linken - 25 Jahre nach dem Mauerfall.

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Zwar wurde Bodo Ramelow erst im zweiten Wahlgang zum Thüringer Regierungschef gewählt, und das Dreierbündnis hat die denkbar knappste Mehrheit von nur einer Stimme. Verlierer ist aber erst einmal die CDU, obwohl sie die Landtagswahl gewonnen hatte.

Ist da die Stimmung in der Koalition von Union und SPD im Bund nicht verdorben? Hat das nun Auswirkungen? „Nein“, sagen die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel und Vize-Kanzler, SPD-Chef Sigmar Gabriel. Aber Gedankenspiele, wie sie im Bund eine erneute große Koalition 2017 vermeiden können, sind bereits im Gange.

DIE UNION:

In CDU und CSU geben sich viele Politiker fassungslos, dass nun mit Ramelow ein Linker das Amt übernommen hat, das die CDU 24 Jahre in Thüringen besetzte. SPD und Grüne machten sich zum Steigbügelhalter der SED-Nachfolgepartei, die Grünen verrieten ihr eigenes Bündnis 90 mit jenen Bürgerrechtlern, die gegen die SED auf die Straße gingen, schimpfen sie. Und sie hoffen, dass Rot-Rot-Grün scheitern wird. Doch intern heißt es: „Das Schreckgespenst funktioniert nicht mehr.“

Die Lehre aus Thüringen sei, dass die Union klarer Wahlsieger sein und ein Ergebnis von rund 40 Prozent haben könne und trotzdem ohne Partner dastehe. Derzeit glaube man Gabriel zwar, dass er im Bund wegen der Außenpolitik der Linken keine rot-rot-grüne Koalition bilden würde. Doch das Vertrauen, dass er das auch noch in drei Jahren so sieht, wenn er das Kanzleramt erobern könnte, sei weg. Immerhin habe er einen Parteibeschluss, wonach eine Koalition mit der Linken möglich ist. Distanz und auch Enttäuschung spricht aus der Bemerkung von Unionsfraktionschef Volker Kauder, er werde der SPD die Wahl eines linken Ministerpräsidenten „nicht so schnell vergessen“.

Die Union wünscht sich, dass sich die FDP wieder erholt - war das Regieren mit ihr von 2009 bis 2013 auch noch so anstrengend. Sollten die Liberalen bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz 2016 in den Landtag kommen, hätten sie auch wieder im Bund Chancen. Mit der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD) schließt die CDU eine Koalition aus. Mit der Linken sowieso. Bleiben die Grünen. Im Flächenland Hessen gibt es gerade einen schwarz-grünen Testlauf. Wenn das sogar mit dem eher konservativen Ministerpräsidenten Volker Bouffier klappt, sind die Schwarz-Grün-Fans in der Union oben auf.

Grundsätzlich regiert die Union aber ganz gern mit der SPD. Besonders geschätzt wird das Verhältnis von Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Sie handelten fernab von Partei-Kleinklein und stabilisierten Europa, heißt es. Thüringen spiele da keine Rolle.

DIE SPD:

„Land ist Land, Bund ist Bund“, meint die SPD-Spitze. Belehrungen der Bundes-CDU werden mit Blick auf die DDR-Vergangenheit zurückgewiesen, die Ost-CDU habe sich mit der SED-Politik gleichschalten lassen. Die SPD-Linke wittert Morgenluft, der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe meint: „Das Regierungsbündnis beflügelt die Fantasie. Es gibt keinen Automatismus mehr, dass die CDU den Regierungschef stellen muss.“

Parteichef Gabriel, der zwar persönlich mit einigen Linken wie Ex-Chef Klaus Ernst gut kann, fällt bisher aber nicht als Freund der Option Rot-Rot-Grün auf. Überschwänglich fiel er jüngst Liedermacher Wolf Biermann um den Hals, als der die Linken im Bundestag als „elenden Rest“ der DDR abgewatscht hatte. Er, der Projekte in Israel unterstützt und enge Bande mit dem Land pflegt, hat auch ein Problem mit dem Israel-feindlichen Kurs einiger Abgeordneten. Niemand in der Spitze sieht aktuell eine Basis für Rot-Rot-Grün im Bund, gerade wegen der vielen außen- und europapolitischen Differenzen. Nach der ersten rot-grünen Landesregierung 1985 in Hessen hat es auch 13 Jahre gedauert, bis diese Koalitionsvariante im Bund dann Realität wurde.

Nachdem von Mindestlohn bis Rentenpaket eher linke Projekte in der großen Koalition mit der Union abgearbeitet sind, will Gabriel die Partei zudem in die Mitte rücken. Die leise Hoffnung auch bei einigen Genossen: Die FDP schafft es irgendwie wieder in den Bundestag, es reicht nicht für Schwarz-Gelb, aber für eine Ampel. Gabriel selbst ist kein Linker - er gehört dem konservativen Seeheimer Kreis an. Auch will er nicht mehr wie 2013 ein linkes Steuerprogramm auflegen.

Die Lage ist paradox: Die SPD ist nun in 14 von 16 Ländern in der Regierung, sie stellt neun Ministerpräsidenten - aber im Bund dümpelt die Partei bei 25 Prozent, während die Union bei über 40 Prozent taxiert wird. Stand heute droht ein unerquicklicher Wahlkampf 2017: Sorge bereitet bei der SPD vor allem, dass es zuvor zum Beispiel in Rheinland-Pfalz zu Schwarz-Grün kommen könnte, das wäre wohl ein Signal. Dann könnte die SPD am Ende mit den Grünen um die Juniorrolle an der Seite der Union buhlen. Merkel wird in der SPD gerade fast fatalistisch überhöht - und als kaum schlagbar angesehen. Die größte Hoffnung lautet daher: Merkel tritt 2017 nicht noch einmal an.