Analyse: Erbe des Libyenkrieges destabilisiert Nordafrika

Tripolis/Istanbul (dpa) - Seit dem Tod von Muammar al-Gaddafi vor 15 Monaten sind die Waffen aus den Beständen der Armee und der libyschen Revolutionsbrigaden weit gereist.

Dass ein Teil der Raketen, Granatwerfer und Sturmgewehre bis nach Syrien und in den palästinensischen Gazastreifen gelangte, ist aus Sicht der meisten Libyer moralisch nicht bedenklich.

Denn sowohl die Bevölkerung als auch die Regierung des arabischen Landes sympathisiert mit den Zielen der syrischen Revolutionäre und mit dem palästinensischen Widerstand gegen Israel. Bedenklich finden die Libyer jedoch, dass die Waffen, die am Ende ihres Bürgerkrieges überall zu haben waren, heute von Terroristen in Mali und Algerien benutzt werden.

Die Ägypter haben in den vergangenen zwölf Monaten einige Waffenlieferungen aus Libyen abgefangen, die in der Regel über den Umschlagplatz Marsa Matruh im Westen auf die Sinai-Halbinsel gebracht werden. Von dort aus geht es dann laut Erkenntnissen der ägyptischen Polizei weiter durch die Schmugglertunnel in den Gazastreifen. Auch in Tunesien sind zuletzt geheime Waffenlager ausgehoben worden, in denen Militärgüter aus Libyen lagerten.

Dass die libysche Regierung den Schmuggel nicht unterbindet, liegt nicht etwa daran, dass sie mit militanten Islamistengruppen kooperiert. Die verschiedenen Übergangsregierungen, die seit dem Sturz des Langzeitmachthabers Gaddafi in Tripolis das Sagen haben, sind bislang einfach zu schwach, um den Schmugglern Paroli zu bieten.

Der Direktor der International Crisis Group für Nordafrika, William Lawrence, schrieb im vergangenen September nach der Ermordung des mit ihm befreundeten US-Botschafters Chris Stevens durch Islamisten in Bengasi: „Das Hauptproblem in Libyen ist, dass es immer noch keinen vollständig funktionierenden Staat gibt, denn Gaddafi hatte alles daran gesetzt, um diesen Staat auseinanderzunehmen. Die Armee und die Polizei sind in einem desolaten Zustand.“

Hinzu kommt, dass einige der Rebellen, die 2011 ihr Leben riskiert hatten, um Gaddafi zu stürzen, der Meinung sind, der neue Staat schulde ihnen noch etwas. Geld mit dem Verkauf ihrer Waffen zu verdienen, erscheint ihnen da nur legitim.

Nach Erkenntnissen des US-Sicherheitsberatungsunternehmens Stratfor sind es jedoch nicht nur Waffen aus Libyen, die den Konflikt in Mali anheizen, sondern auch zwischen 2000 und 4000 Tuareg, die einst für Geld in Gaddafis Armee dienten. Unter Mohamed Ag Najem, einem ehemaligen Oberst der libyschen Armee, kehrten sie 2011 nach Mali zurück, wo sie die Nationale Bewegung zur Befreiung von Azawad (MNLA) gründeten, die eine Zeit lang an der Seite der islamistischen Extremisten von Ansar Dine kämpften, bevor es zu Rivalitäten zwischen den beiden Gruppen kam.

Die Geiselnahme in Algerien durch Terroristen, die sich mit den Islamisten in Mali solidarisch erklärt haben, wird zwar auch in vielen islamischen Ländern kritisiert. Die Regierungen dieser Länder sowie mehrere islamische Religionsgelehrte hatten sich jedoch in den vergangenen Tagen auch kritisch zum Militäreinsatz der Franzosen in Mali geäußert. Zu den Staaten, die eine politische Lösung des Konflikts forderten, gehört unter anderem Ägypten, das im Gegensatz zu Libyen derzeit von Islamisten regiert wird.