Analyse: Europäer unter Rechtfertigungsdruck
Camp David/Chicago (dpa) - Eigentlich sollte es ganz anders laufen: Die Europäer wollten in Camp David stolz verkünden, dass sich ihre Schutzwälle gegen die gefährliche Finanzkrise stärken und ihre Schuldenberge abtragen.
Die Banken werden reguliert und müssen neue Kapitalpuffer aufbauen. Und für das Wirtschaftswachstum soll nun auf Druck des neu gewählten französischen Präsidenten François Hollande auch etwas getan werden.
Doch Griechenland macht - wieder einmal - einen Strich durch die Rechnung. Die Europäer müssen sich beim G8-Gipfel in den USA dafür rechtfertigen, dass ein Land, das nur etwa zwei Prozent zur Wirtschaftsleistung der Eurozone beiträgt, das gemeinsame Währungsgebiet nachhaltig erschüttert und weltweit für Unsicherheit sorgt.
Und das kann Gipfelgastgeber und US-Präsident Barack Obama gar nicht gebrauchen. Denn der Herr des Weißen Hauses will im November für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden. Und dabei zählt eben vor allem die Wirtschaft. Schon beim G20-Gipfel in Cannes vor einem halben Jahr hatte Obama den wenig souverän auftretenden Europäern in deutlichen Worten die Leviten gelesen.
Vor rustikalen Holzhütten auf dem Landsitz des Staatschefs im US-Staat Maryland mussten die EU-Größen an den Parteichefs in Griechenland appellieren, die Abmachungen mit den internationalen Geldgebern einzuhalten. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso stellte fest: „Wir arbeiten für Plan A - Plan A bedeutet, dass Griechenland in der Eurozone bleibt und Griechenland seine Verpflichtungen einhält.“
Barrosos Kommissar für Handelsangelegenheiten, der schärfzüngige Belgier Karel De Gucht, hatte zuvor für Irritationen gesorgt, als er von Szenarien in der EU-Behörde für einen Griechenland-Austritt berichtet hatte.
Die europäischen „Chefs“ sprachen sich vor dem Gipfel per Videokonferenz ab - doch für eine gemeinsame Sprache reichte das nicht. Das gilt auch beim Thema Wachstum. Nach seinem ersten Treffen mit dem US-Präsidenten bilanzierte Hollande, es gebe weitgehende Übereinstimmung in dieser Frage. Rasch war der Begriff „Obamallande“ geboren. Richtig freuen kann sich die auf Budgetdisziplin pochende deutsche Kanzlerin Angela Merkel darüber nicht. Denn Obama prangert seit langem die Sparsamkeit der Europäer an.
Die Europäer versuchen ungeachtet aller Schwierigkeiten, Obama nicht zu verärgern. Politische Beobachter meinen, dass Merkel, Hollande und Co. mit einem konservativen Staatschef im Weißen Haus schlechter fahren würden.
Vielleicht zeigt sich Barroso auch deshalb offen für den gewagten Washingtoner Vorstoß, hohen Ölpreisen notfalls mit der Freigabe von Ölreserven zu begegnen. In internen Papieren für den Gipfel wird auf Expertenmeinungen hingewiesen, wonach sich den US-Wahlen „an der Tankstelle“ entscheiden werden. Und dafür muss vorgesorgt werden.