Analyse: EZB verliert in der Krise Garant für Stabilität
Frankfurt/Main (dpa) - Stabilität ist das vordringlichste Ziel der Euro-Währungshüter - doch mitten in der schwersten Krise der jungen Gemeinschaftswährung geht mit EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark ein Garant für Stabilität von Bord.
Als Auslöser gilt der Streit um das Krisenmanagement der Notenbank.
Beobachter in Deutschland werten den Rückzug als schlechtes Omen: Die Stabilitätsgaranten seien auf dem Rückzug, die künftige Strategie der Notenbank unsicherer denn je. FDP-Finanzexperte Frank Schäffler sprach von einem schweren Schlag für den Euro, der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, Kurt Lauk, sieht ein „dramatisches Alarmsignal dafür, dass die EZB wieder auf den richtigen Weg geführt werden muss“.
Denn eines scheint sicher: Stark wollte die Krisenpolitik der Währungshüter nicht länger mittragen. Dem Vernehmen nach hatte er im August im EZB-Rat dagegen gestimmt, erneut die Notenpresse anzuwerfen, um nun auch die Schulden von pleitebedrohten Ländern wie Italien oder Spanien zu finanzieren.
Damit verliert die EZB nicht nur ihren Chefvolkswirt, sondern auch erneut einen Anker der Stabilität. Zuvor hatte schon Bundesbank-Präsident Axel Weber im Streit um den milliardenschweren Aufkauf von Staatsanleihen der Schuldensünder das Handtuch geworfen. Weber hatte sich dagegen gewehrt, die Trennlinie zwischen Geldpolitik und Fiskalpolitik zu verwässern und damit gleichzeitig die Preisstabilität zu gefährden. Der Vorwurf: Mit dem Kauf von Staatsschulden macht sich die EZB nicht nur politisch, sondern auch finanziell abhängig.
Finanzfachmann Schäffler sagte dem „Handelsblatt“, mit Stark gehe nach Weber erneut ein geldpolitischer „Falke“ von Bord. Er hinterlasse nur Tauben, die eine weichere geldpolitischere Linie verfolgten.
Noch ist unklar, wer Stark ersetzen wird. Am Freitag wurde Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen als Nachfolger gehandelt. Hingegen steht bereits fest, dass auch EZB-Präsident Jean-Claude Trichet schon bald aus dem Amt scheidet. Der Italiener Mario Draghi wird ihn im November ablösen. Dafür musste sein Landsmann Lorenzo Bini Smaghi seinen Platz im EZB-Direktorium räumen.
Die Nachricht vom Rückzug Starks nach mehr als fünf Jahren bei der Notenbank schlug am Freitag ein wie eine Bombe. Die Börsen reagierten mit Kursstürzen. Das Problem sei der Vertrauensverlust in die Politik, Lösungen für die Krisenentwicklung zu finden, sagten Marktteilnehmer. Ein Börsianer nannte den Stark-Rücktritt einen „weiteren Schlag für die Glaubwürdigkeit der EZB, der den Graben zwischen Deutschland und den übrigen Mitgliedern wahrscheinlich vertiefen wird“.
Eigentlich ist der Auftrag der EZB klar umrissen: Die Notenbank soll die Inflation im Zaum halten und 332 Millionen Bürgern in 17 Euro-Staaten eine stabile Gemeinschaftswährung sichern. Doch in der Krise um ausufernde Staatsschulden sahen sich die Währungshüter zum Tabubruch gezwungen: Im Mai 2010 verkündeten sie ihren Beitrag zur Euro-Rettung, darunter „Interventionen an den Märkten für öffentliche und private Schuldverschreibungen im Euro-Währungsgebiet“.
In der Folge kaufte die EZB massenhaft Staatspapiere: griechische, irische, portugiesische. Die Hüterin des Euro wurde zu einer der größten Gläubigerinnen - unter anderem Athens. Würden Griechenland seine Milliardenschulden auch nur zum Teil erlassen, träfe das auch die EZB - und in der Folge die nationalen Notenbanken und letztlich die Steuerzahler.
Von Februar bis Ende Juli ruhte das Programm. Dann spitzte sich die Lage wieder zu, die Märkte misstrauten Italien und Spanien und verlangten hohe Renditen für Anleihen. Die EZB warf die Notenpresse wieder an. Aktuell stehen Papiere im Wert von 129 Milliarden Euro in den Büchern der Notenbank.
Ein Ende ist nicht abzusehen. Zunächst müssen die Euroländer den geplanten Rettungsschirm EFSF in nationales Recht umsetzen, doch die parlamentarischen Mühlen mahlen langsam. Ob die EZB aber ihr Programm tatsächlich beendet, wenn der EFSF bereitsteht, ist nicht gesichert. Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel glaubt, mit Starks Rücktritt sei es wahrscheinlicher geworden, dass das Programm fortgesetzt wird.
Immerhin: Bundesbank-Präsident und EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann hält die Fahnen der Falken weiter hoch. Doch Bargel ist überzeugt, dass die Anzahl der Gegner des EZB-Anleihenkaufprogramms mit dem Rücktritt Starks weiter abnimmt: „Wenn die Vermutung stimmt, dass Stark wegen seiner kritischen Haltung zum Ankaufprogramm von Staatsanleihen zurückgetreten ist, zeigt das vor allem eines: Die geldpolitischen Puristen können sich im EZB-Rat offensichtlich nicht mehr durchsetzen.“