Analyse: Feine Risse in der Koalition
Berlin (dpa) - Einwanderungsgesetz, mehr Geld für die Polizei, Speicherung von Telefondaten: Der Terror in Paris und die islamfeindliche Pegida-Bewegung regen zu neuen Ideen an. Die Kanzlerin sendet im Bundestag klare Botschaften - aber in ihrer Koalition kriselt es.
Zum Schluss verteilt Volker Kauder noch einen Rüffel. An den Koalitionspartner SPD, namentlich Fraktionschef Thomas Oppermann. Sein Unions-Pendant Kauder wirft ihm vor, mit dem Ruf nach einem Einwanderungsgesetz den Eindruck zu erwecken, „dass wir uns in einem völligen rechtsfreien Raum bewegen“.
Kauder sieht in diesen unruhigen Zeiten mit dem Aufkommen islamfeindlicher Bewegungen keinen Bedarf für ein neues Gesetz zur Anwerbung von Einwanderern und einer jährlichen Quotenfestlegung. „Da rate ich auch hier zu einem größeren Maß an Gelassenheit“, mahnt Kauder, der nun länger Chef der CDU/CSU-Fraktion ist als alle Vorgänger. Es gebe bereits viele Einwanderungsregeln.
Als er fertig ist, regt sich bei der SPD kaum eine Hand zum Applaus, in der ersten Reihe klatscht nur der Außenpolitiker Rolf Mützenich zaghaft. Dieser hört aber sofort auf, als er zur Seite schaut.
Diese 79. Sitzung des Bundestags in der laufenden Wahlperiode ist eine nicht alltägliche - und eine, die feine Risse in der großen Koalition offenbart. Auf der Tagesordnung: Regierungserklärung der Kanzlerin zu den Terroranschlägen vom 7. Januar in Paris.
Auf der Regierungsbank fällt das Fehlen von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auf, der wegen eines Arzttermins verhindert ist. Neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt als Vertretung die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries Platz: mit ihrem pinkfarbenen Blazer sticht sie aus den gedeckten Tönen auf der Regierungsbank hervor. Als Merkel das Wort ergreift, checkt sie ihre Mails.
Die Anschläge hätten sich gegen drei Gruppen gerichtet, betont Merkel: Gegen die Journalisten des Satiremagazins „Charlie Hebdo“, gegen Polizisten und gegen Juden. Zwei der großen Übel der heutigen Zeit seien der mörderische islamistischen Terror und der Antisemitismus, oft gingen sie Hand in Hand.
Aber sie zitiert auch erneut den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Als Merkel „Zitat Ende“ sagt, gibt es viel Beifall bei SPD und Grünen, nicht aber bei der Union. Viele Konservative fragen sich, welcher Islam ist denn gemeint? Auch der radikale?
Merkel betont, Religionsfreiheit bedeute nicht, „dass die Scharia im Zweifelsfall über dem Grundgesetz steht“. Und sie richtet einen Appell an muslimische Geistliche zu mehr Mitarbeit. Die Frage, warum sich Terroristen auf den Islam beriefen, sei „dringlich“.
Ohne die islamkritische Pegida-Bewegung in Dresden namentlich zu nennen, warnt die Kanzlerin zugleich: „Jede Ausgrenzung von Muslimen in Deutschland, jeder Generalverdacht verbietet sich.“ Das ist das schwierige Spannungsfeld in diesen ersten Tagen 2015.
Richtig lebhaft wird es, als es um Merkels Maßnahmenpaket als Antwort auf den Paris-Terror geht: Mehr Einsatz gegen illegalen Waffenhandel, ein europaweiter Abgleich von Fluggastdaten von Gefährdern. Sie richtet „ein herzliches Dankeschön“ an alle, die sich um die Sicherheit des Landes verdient machen. Oppermann fordert später, kein gewaltbereiter Syrienrückkehrer dürfe sich unbeobachtet fühlen, Sicherheitsbehörden müssten so gestärkt werde, dass sie „ihnen 24 Stunden am Tag auf den Füßen stehen“.
Dann kommt Merkel auf die Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten zu sprechen, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs hierzulande auf Eis liegt. Die EU-Kommission müsse zügig eine neue EU-Richtlinie vorgelegen, „um sie anschließend auch in deutsches Recht umzusetzen.“ Beifall bei der Union, kaum eine Hand rührt sich bei der SPD. „Das nützt doch überhaupt nichts“, wird ihr aus Reihen der Linken entgegengeschleudert. Denn in Frankreich gab es die Taten, obwohl dort Daten gesammelt werden.
Koalitionsknatsch ist hier bereits programmiert. Die Linie von Oppermann und SPD-Chef Gabriel ist es zwar, dass man darüber reden kann, wenn eine neue EU-Regelung vorliegt - viele in der SPD setzen aber darauf, dass dies möglichst lange dauern wird.
Klarer sind da die Grünen. Deren Fraktionschef Anton Hofreiter wettert: „Wenn unsere Freiheit angegriffen wird, dürfen wir unsere Freiheit doch nicht selbst aufgeben.“ Gegen Kalaschnikows helfe doch keine Sammlung aller Kommunikationsdaten der Bürger.
Bemerkenswert ist an diesem Tag auch ein Oppositions-Dissens, wie eine Intervention der Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl zeigt. Sie knöpft sich Linken-Fraktionschef Gregor Gysi vor: Sie habe nie den Kriegseinsätzen in Afghanistan zugestimmt, aber sie möchte sich gegen Gysis Unterstellung verwahren, dass das Parlament mit dem Einsatz dem Terror den Weg bereitet habe. „Der Terror war vor dem Einsatz in Afghanistan da“, ruft Kotting-Uhl.