Analyse: Fliegt der IWF aus der Troika?
Washington (dpa) - Für ihre Reaktion auf das Referendum über Sparvorgaben in Griechenland benötigte Christine Lagarde nur anderthalb Zeilen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) habe die Volksabstimmung „zur Kenntnis genommen“, ließ die IWF-Chefin in einer äußerst knappen schriftlichen Mitteilung wissen. Begeisterung klingt anders - und einmal mehr dürfte sich Lagarde nun fragen, welche Rolle der IWF bei der dramatischen Rettung des schuldengeplagten Dauer-Problemkinds Griechenland in Zukunft überhaupt noch spielen soll.
Dass der Kreditgeber mit Sitz in Washington tief in das europäische Schuldendrama verstrickt ist, hat er nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu verdanken. Sie hatte 2010 darauf gepocht, den IWF mit ins Boot zu holen, und bis heute gibt es aus deutscher Sicht keine Lösung der Krise ohne eine Beteiligung des Fonds. Dies sei eine „absolute Bedingung“, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder im Juni und fügte hinzu: „Wer glaubt, dass man die Politik der Schutzschirme ohne den Währungsfonds machen kann, der wird sich irren.“
Dabei gibt es einige Argumente für den IWF, das Dreiergespann mit EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) zu sprengen und aus den Griechenland-Verhandlungen auszuscheiden. Eigentlich darf der IWF in einheitlichen Währungsräumen wie der Euro-Zone gar nicht unterstützend tätig werden, denn diese Aufgabe ist von seinem Mandat nur bedingt gedeckt. Da im Dreiergespann eine einheitliche Position gefunden werden muss, kann er Athen zudem keine ganz harte Linie - also etwa den Euro-Austritt - empfehlen, erläutert Ansgar Belke, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.
Hinzu kommt ein ganz pragmatischer Grund: Aus Sicht des Krisenretters IWF ist es äußerst mühsam, mit dem Heer von Euro-Premierministern, Finanzministern und Kommissaren zu verhandeln. Und auch innerhalb der 188 Mitgliedsstaaten zählenden Sonderorganisation der Vereinten Nationen dürfte für Unmut sorgen, dass Schwellenländer wie Indien und Brasilien reichen Staaten wie Griechenland den Rücken stärken müssen.
Nicht zuletzt drohen die Interessen der Europäer innerhalb des IWF schleichend zurückgedrängt zu werden: Mit ihren 18 Prozent Stimmenanteil und damit der entscheidenden Sperrminorität haben die USA im Währungsfonds nach wie vor das Sagen. Selbst im Fall der lang diskutierten Reform des Stimmrechts dürfte nicht Europa profitieren, sondern die BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China.
Der regelmäßige Zoff der Technokraten aus Washington mit EZB-Bankern und Mitgliedern der EU-Kommission hat die Rettung Griechenlands keinesfalls leichter gemacht. „Keiner der Partner scheint das Gefüge als ideal anzusehen“, schrieb der IWF bereits im Jahr 2013 in einer Griechenland-Analyse. Kritikern zufolge sollte Europa mittlerweile in der Lage sein, seine Probleme allein in den Griff zu bekommen.
Im Gespräch war bereits mehrfach, dass der Euro-Rettungsschirm ESM die Aufgaben des IWF übernimmt und etwa zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) ausgebaut wird - konkrete Vorschläge für eine Zeit ohne IWF gibt es also. Im Februar berichtete das „Handelsblatt“, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker feile bereits an einem Plan, die Griechenland-Troika abzuschaffen. Auch Frankreich und die Südländer wollen den IWF angeblich loswerden.
Müssen Griechenland oder ein anderes Euro-Krisenland die Rechnung also bald ohne Lagardes Volkswirte machen? Vorerst vermutlich nicht. Denn einerseits entlastet der IWF die Europäer finanziell und steuert Fachwissen ohne politische Färbung bei. „Ohne den IWF wären die Krisenprogramme wahrscheinlich so erfolglos verlaufen wie die Versuche Europas, den Stabilitätspakt durchzusetzen“, schrieb Ökonom Belke vergangenes Jahr. Außerdem hilft die Glaubwürdigkeit des Fonds, größere Tumulte an den Märkten zu verhindern.
Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der den IWF ursprünglich aus dem Spiel lassen wollte, ist mittlerweile auf Merkels Kurs umgeschwenkt, den auch andere finanzpolitisch stabilere Länder wie Finnland teilen. „Ohne den IWF wird sich der Druck der Krisenländer und Frankreichs gegenüber Deutschland ins Unermessliche steigern. Dann folgt ein Griechenland nach dem anderen“, warnte der Präsident des Münchner ifo-Forschungsinstituts Hans-Werner Sinn kürzlich.
Beim IWF, der nun als erster Gläubiger eine fällige Kreditrate in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro nicht pünktlich zurückbekam, dürfte die Diskussion andauern. Die Chefin der Rettungsbehörde für finanziell angeschlagene Staaten machte zumindest kurzfristig Hoffnung auf einen noch greifbaren Weg aus der griechischen Krise, den der IWF mit pflastern könnte: „Sofern gewünscht“, teilte Lagarde mit, werde der Fonds die Griechen auch weiterhin unterstützen.