Analyse: Fragiles Klima in Deutschland
Berlin (dpa) - Es dauert nicht lange, bis die Urteile gefällt sind. Noch ist gar nicht so recht klar, was da in der Silvesternacht genau in Köln passiert ist. Doch im Internet sind sich schon sehr viele sehr einig.
Da entlädt sich jede Menge Hass gegen Ausländer - vor allem gegen junge männliche Muslime, die pauschal als vagabundierende Verbrecher dargestellt werden. „Sofort abschieben diese Barbaren!“, schreibt ein Nutzer auf Facebook.
Andere richten ihre Wut gegen die Kanzlerin: Sie habe schließlich all die Flüchtlinge erst ins Land gelockt. Und dann ist da noch die Feindseligkeit gegenüber der „Lügenpresse“ und der Polizei: Beide fassten kriminelle Ausländer nur mit Samthandschuhen an und versuchten, Gewaltexzesse von Migranten kleinzureden.
Unter den Internet-Richtern sind die Anhänger der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung ganz vor mit dabei - und die der AfD. Die Chefin der rechtskonservativen Partei, Frauke Petry, postet auf ihrer Facebook-Seite zu den Ausschreitungen in Köln eine Botschaft an die Kanzlerin: „Ist Ihnen nach der Welle an Straftaten und sexuellen Übergriffen Deutschland nun "bunt und weltoffen" genug, Frau Merkel?“ Petry wertet die Vorfälle in Köln als Folgen der „unkontrollierten Zuwanderung“ und einer „katastrophalen Asyl- und Migrationspolitik“.
Dabei gibt es zu dem, was in Köln passiert ist, bislang mehr Fragen als Antworten. Etwa 1000 Männer versammelten sich in der Silvesternacht vor dem Hauptbahnhof. Laut Polizei waren die meisten zwischen 15 und 35 Jahre alt und „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“. In kleineren Gruppen sollen sie Frauen umzingelt, ausgeraubt, sexuell bedrängt und begrapscht haben. Auch von einer Vergewaltigung ist die Rede.
Aber waren es überhaupt alles Ausländer - noch dazu Flüchtlinge - oder vielleicht Deutsche aus Zuwandererfamilien? Haben sie sich verabredet? War es eine gesteuerte Aktion? Alles unklar. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker betont, die Behörden hätten bisher keinerlei Hinweise, dass es sich um Flüchtlinge handele. Solche Vermutungen halte sie für „absolut unzulässig“.
Rechtsausleger nehmen es damit aber nicht so genau und nutzen die Vorfälle eilig für ihre Zwecke, um Hass gegen Flüchtlinge zu schüren.
Aber auch einige Unions-Politiker wollen nicht warten, bis die offenen Fragen geklärt sind, sondern wagen sich früh weit vor. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer fordert die sofortige Abschiebung von Flüchtlingen, die Frauen sexuell belästigen. Und die CDU-Spitzenfrau aus Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, die im März eine Wahl zu bestreiten hat, fordert eine offene Debatte über die Herkunft der Täter. Sie meint, mit politischer Korrektheit komme man hier nicht weiter.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) reagiert auf all die voreiligen Schlüsse, auch aus den eigenen Reihen. Ja, dass eine „so große Zahl von Personen, offensichtlich mit Migrationshintergrund“, die Übergriffe verübt haben solle, das sei eine neue Dimension, sagt er. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass nun Flüchtlinge unter einen Generalverdacht gestellt würden.
Die Übergriffe in Köln fallen in eine Zeit, in der die Republik leicht zu erregen ist. Die Zahl der Flüchtlinge ist so hoch wie nie zuvor. Unterkünfte sind überfüllt, Behörden überlastet. Viele Bürger mühen sich bis zur Erschöpfung, den Menschen zu helfen, die vor Kriege und Elend fliehen. Andere machen sich zunehmend Sorgen, dass die Republik mit dem Andrang überfordert ist, dass das Land allzu fremd werden könnte, dass sie selbst zu kurz kommen.
Die Zahl der Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte steigt stetig. Fremdenfeinde bekommen Zulauf. Und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat selbst innerhalb ihrer Koalition alle Mühe, ihren Kurs der Offenheit gegenüber Flüchtlingen durchzusetzen.
Im Kanzleramt gibt Merkel an diesem Tag eine kleine Lehrstunde zu Respekt - auch gegenüber Fremden. Die Vorfälle in Köln sind hier kein Thema, auch die Flüchtlingskrise offiziell nicht. Es ist eigentlich ein eher unpolitischer Termin - Merkels erster öffentlicher in diesem Jahr. Etwa 100 Sternsinger sind zu Gast. Und deren Motto heißt: „Respekt für dich, für mich, für andere“.
Und obwohl die Kanzlerin die Flüchtlingsdebatte nicht konkret anspricht, versteht jeder, was sie meint. Mit Vorurteilen sei man ganz schnell dabei, warnt sie. Doch die Würde des Menschen sei unantastbar, das stehe schon im Grundgesetz. Das gelte nicht nur für die Deutschen oder jene, die in Deutschland lebten, sagt Merkel. „Sondern es gilt für alle Menschen.“
Erst später reagiert Merkel auf Köln. Über ihren Sprecher lässt sie ausrichten, wie groß ihre Empörung sei „über diese widerwärtigen Übergriffe und sexuellen Attacken“. Die Schuldigen seien nun so schnell wie möglich zu ermitteln und zu bestrafen - „ohne Ansehen ihrer Herkunft oder ihres Hintergrundes“. Der Republik stehen wieder einmal schwierige Debatten bevor.