Analyse: Für die Versicherten wird es teurer
Berlin (dpa) - Bei den Parteichefs von Union und SPD ging es im Konrad-Adenauer-Haus am Ende schnell. Über Tage hatten die Verhandlungsführer von Union und SPD, Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach, über einem Kompromiss im Streit um die Gesundheitsfinanzen verhandelt.
Nun fanden ihre Vorschläge recht schnell den Zuspruch der schwarz-roten Spitzen.
Vertieft im Zweiergespräch, hatten sich Spahn und Lauterbach schon am vergangenen Sonntag am Rande der Sitzung ihrer Gesundheitsarbeitsgruppe über ein Paket ausgetauscht - Start eines Pflegevorsorgefonds gegen Ende der pauschalen Zusatzbeiträge. Wichtige Fragen blieben aber offen. Wer sollte die künftigen Milliarden-Mehrkosten wie bezahlen?
Nun ist klar: Die Arbeitgeber sind - wie das die Union verlangt hat - außen vor. Spahn kann bei der Verkündung des Kompromisses mit der gläsernen Kuppel des Reichstagsgebäudes im Rücken auftrumpfen: „Für uns als Union war wichtig, dass es bei der Entkoppelung steigender Gesundheitsausgaben von den Arbeitskosten bleibt.“
Aber: Die pauschalen Zusatzbeiträge entfallen tatsächlich - ein SPD-Anliegen. In drei, vier Jahren wird die heute glänzend dastehende Krankenversicherung wohl wieder vor einem bis zu zweistelligen Milliardenloch stehen. Dann könnten Bescheide über Zusatzbeiträge bei Millionen Versicherten im Briefkasten landen. „Die Kopfpauschalen hätten bis zu 30 Euro pro Monat pro Versicherten bedeutet“, sagt Lauterbach. Den Kassen würden die Mitglieder davonlaufen, Pleiten drohten. „Das Solidarsystem in der Gänze wäre durch die Kopfpauschalen angegriffen worden.“
Nun sollen die Pauschalen abgeschafft werden. „Dieser Kampf hat insgesamt zehn Jahre gedauert“, meint Lauterbach - obwohl es in der vergangenen großen Koalition die SPD mit der Union war, die sie eingeführt hatten. Unter Schwarz-Gelb wurde das System verschärft.
Was kommt also auf die Versicherten zu? Von 15,5 Prozent soll der Beitragssatz auf 14,6 Prozent gesenkt werden - jeweils 7,3 Prozent für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In den 15,5 Prozent sind heute 0,9 Prozent allein zulasten der Arbeitnehmer enthalten. Dieser Aufschlag bleibt erst einmal - aber er ist künftig Teil des von Kasse zu Kasse unterschiedlichen prozentualen Zusatzbeitrags.
Bleibt es also unterm Strich doch bei 15,5 Prozent? Nein. Eine gut dastehende Versicherung wie die Techniker Krankenkasse, die heute pauschale Prämien ausschüttet, dürfte die 0,9 Prozent nicht brauchen und mit dem prozentualen Aufschlag für die Versicherten rasch heruntergehen. Ein Gesamtsatz unter 14,6 Prozent soll aber nicht möglich sein, auch keine Prämienausschüttungen mehr. Eine schlechter dastehende Kasse soll dafür mehr verlangen können als die 0,9 Prozent, etwa auch 1,5 Prozent prozentualer Zusatzbeitrag.
Kommen damit Krankenkassen in Existenznot, die viele Geringverdiener unter ihren Versicherten haben, mit einkommensabhängigen Beiträgen also wenig Geld hereinbekommen? Das soll nicht passieren - das zweite Kernstück des Kompromisses. Denn die gesamten Beitragseinnahmen fließen durch den Gesundheitsfonds. Und was die Kassen aus dem Fonds bekommen, bemisst sich nach komplizierten Berechnungen daraus, wie hoch das Einkommen ihrer Mitglieder ist, wie viele Schwerkranke sie versorgt und wie hoch ihre prozentualen Zusatzbeiträge sind.
Unterm Strich wirkt das stark ausgleichend. Und weil die Kassen das von vorneherein in ihre Berechnung eines Prozentaufschlags einbeziehen dürften, werden Kassen mit Problemen wohl tendenziell nicht ganz so hohe Aufschläge nehmen müssen und gut dastehende Kassen nicht komplett auf den Mindestsatz absenken.
Klar wird: Der Kompromiss bringt mehr Kosten für die Versicherten - aber die sollen möglichst breit verteilt werden. Beispiel: Bei einem Bruttogehalt von 2000 Euro wären 146 Euro fällig, wegen des 7,3-prozentigen Arbeitnehmeranteils. Erhebt eine Kasse keinen prozentualen Zusatzbeitrag, bleibt es dabei. Nimmt sie 0,4 Prozent, kommen 8 Euro hinzu. Bei 1 Prozent wären es 20 Euro mehr im Monat.
Und in der Pflege? Hier steigt der Beitrag erst einmal auf 2,35, für Kinderlose auf 2,6 Prozent. Später sollen für alle noch 0,2 Punkte obendrauf kommen. Damit soll eine ziemlich lange Liste an Wohltaten finanziert werden: mehr Pfleger, Anpassung der Leistungen an die Inflation, Leistungen für alle Demenzkranken - und die Bildung einer Kapitalrücklage für später. Absehbar bleibt hier aber, dass auch künftig Millionen Pflegebedürftige, ihre Angehörigen und die Sozialhilfe gehörig dazuzahlen müssen.