Analyse: G7-Staaten wollen Putins Gas-Macht schwächen
Rom (dpa) - In Rom beraten die G7-Energieminister über Alternativen zu russischem Gas: Flüssiggas aus Nordamerika, neue Pipelines und mehr Fracking lauten einige Vorschläge. Doch Präsident Putin sitzt am längeren Hebel.
Über Sigmar Gabriel schweben die Engel, sie reichen sich die Hand. Die Weltpolitik erweckt gerade einen weniger friedvollen Eindruck. Weshalb der Bundeswirtschaftsminister nun hier in Rom unter den Deckenfresken im Sala Verdi des Hotels Majestic sitzt. Freudig umarmt er Italiens Premier Matteo Renzi, auch die Ex-Frau von Frankreichs Präsident François Hollande und neue französische Energieministerin, Ségolène Royal, ist dabei. So ist es auch ein kleines sozialdemokratisches Familientreffen.
Ende März wurde Russland wegen der Annexion der Krim aus der seit 1998 bestehende G8-Gruppe ausgeschlossen, nun tüfteln die Energieminister der sieben führenden Industriestatten am Dienstag in Rom an einem Masterplan für eine geringere Abhängigkeit von den Gaslieferungen Wladimir Putins.
Der 13-Punkte-Plan dient als Vorlage für den G7-Gipfel der Staatschefs am 4./5. Juni in Brüssel. Ein erster Entwurf für die vierseitige Rom-Initiative umfasst aber etwas, dass Deutschland so nicht mittragen kann.
So sollen alle CO2-armen Technologien gefördert werden, neben erneuerbaren Energien auch Atomkraft. Am Ende wird der Passus abgeschwächt, die Förderung bleibt Staaten selbst überlassen. Gabriel pocht besonders auch auf mehr Anstrengungen etwa bei der Dämmung von Gebäuden, damit weniger Gas zum Heizen nötig ist.
„Das zentrale Thema ist, wie man mittel- und langfristig verhindern kann, dass in einer zusammenwachsenden Welt Energie als Waffe benutzt wird“, betont der Vizekanzler. Doch er warnt zugleich vor Aktionismus und fordert mehr Realismus - eine schnelle Änderung und Diversifizierung ist kaum machbar.
Aber: Ein Ergebnis von Rom ist, dass nun umfassende Notfallpläne erarbeitet werden, für den Fall, dass Russland der Ukraine den Gashahn zudreht. Es ist vor allem ein europäisches Problem, wobei Deutschland dank der Ostseepipeline Nord Stream unabhängiger vom Transitland Ukraine ist als mehrere osteuropäische EU-Staaten.
Deutschland bezieht 38 Prozent seines Erdgases aus Russland, zudem sind Konzerne wie Eon mit der russischen Energiewirtschaft verbandelt. EU-weit haben russische Gasimporte einen Anteil von 30 Prozent, die Baltenstaaten kommen auf bis zu 100 Prozent. Einige Hoffnungen ruhen in Rom auf der Trans Adriatic Pipeline (TAP), die ab 2019 von Aserbaidschan aus Europa beliefern soll.
Helfen könnten auch ein Ausbau der Gasspeicherkapazitäten, neue Pipelines und mehr Einspeisepunkte. Polens Premier Donald Tusk fordert eine Energie-Union, damit Russland die 28 EU-Staaten nicht gegeneinander ausspielen kann: Die Einzelverträge sollen von Geheimklauseln befreit werden. Dann könnte ein transparentes, gemeinsames Rahmenabkommen mit Russland für neue Lieferverträge folgen. Sozusagen eine staatliche EU-Einkaufsgesellschaft. Aber: Bisher liegt die Gasversorgung in den Händen von Unternehmen.
Mehrere G7-Staaten verfolgen unter dem Deckmantel des Russland-Problems auch ihre eigene Agenda, so pocht Großbritannien auf eine starke Rolle der Atomkraft. Und die USA und Kanada versuchen sich als Ersatzlieferanten anzubieten. Kanadas Energieminister Greg Rickford betont: „Unsere Botschaft an meine G7-Kollegen ist klar: Kanada steht für eine zuverlässige und sichere Energieversorgung.“ Kanada sei fünftgrößter Produzent von Erdgas.
Ein Zauberwort in Rom heißt Flüssiggas. Litauen lässt bereits eine über 200 Millionen Euro teure Spezialanlage bauen, ein schwimmendes Terminal für den Import von Flüssiggas, so groß wie ein Flugzeugträger. Der Name: „Independence“ (Unabhängigkeit).
Doch der Aufbau einer solchen Infrastruktur, um verflüssigtes Gas wieder in einen gasförmigen Zustand zu bringen, erfordert Milliardeninvestionen - und dürfte den Bezug massiv verteuern. In Deutschland war so ein Terminal mal in Wilhelmshaven angedacht, geworden ist daraus nichts. Bisher werden nur 20 - 30 Prozent der EU-Flüssiggas-Kapazitäten genutzt, vielen Unternehmen ist es zu teuer. Moskaus EU-Botschafter Wladimir Tschischow sagte jüngst, angeblich sei russisches Gas ja zu teuer. „Gas etwa von North Dakota nach Europa zu verschiffen, wird noch viel teurer sein.“
Die andere Alternative, die Gasförderung aus tiefem Gestein mit Chemikalieneinsatz (Fracking) ist auch nur bedingt eine. In Deutschland sind die Vorkommen überschaubar, viele liegen zudem in Wasserschutzgebieten. „Es ist schwer vorstellbar, innerhalb der weltweiten Erdgaswirtschaft einen Ersatz für die russischen Gaslieferungen zu finden, ohne das weltweite Preisgefüge deutlich nach oben zu treiben“, heißt es in einer Studie der Energy Watch Group, die sich für den Ausbau erneuerbarer Energie starkmacht.
Letztlich ist das Treffen vor allem ein Signal an Putin: Wir stehen zusammen und arbeiten an einem Plan B. Einige hoffen, dass sich das Problem vielleicht ganz anders löst: Dass es eine Entspannung im Verhältnis zu Russland gibt. Und Gabriel setzt auf eine Übereinkunft nach Vorbild der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): Dass auch in Krisenzeiten niemand Energie als Waffe einsetzen wird.