Analyse: Geheimoperation Asyl

Moskau (dpa) - Als wohl erster US-Asylant in Russland kann sich der US-Geheimdienstenthüller Snowden nun frei im Land bewegen. Mit diesem Schritt Moskaus musste Washington zwar seit langem rechnen. Aber was bedeutet das für das schwierige bilaterale Verhältnis?

Moskau (dpa) - Als wohl erster US-Asylant in Russland kann sich der US-Geheimdienstenthüller Snowden nun frei im Land bewegen. Mit diesem Schritt Moskaus musste Washington zwar seit langem rechnen. Aber was bedeutet das für das schwierige bilaterale Verhältnis?

Mit russischen Papieren und unbeobachtet, angeblich in einem Taxi, verlässt der wegen Verrats von den USA verfolgte Edward Snowden den Moskauer Flughafen Scheremetjewo. Nach mehr als einem Monat im belebten Transitbereich genieße der am meisten gesuchte Mann an einem sicheren Ort Schutz vor der Öffentlichkeit - und den US-Behörden, sagt der kremlnahe Moskauer Anwalt Anatoli Kutscherena am Donnerstag.

Stolz hält der Jurist die russischen Aufenthaltspapiere des US-Bürgers Snowden in die Kameras des Moskauer Staatsfernsehens: die Nummer 0011330, gültig vom 31.7.2013 bis 31.7.2014. Aus „humanitären Gründen“ gewähre Russland dem 30-Jährigen vorläufiges Asyl, betont Kutscherena. Menschenrechtler loben die Asylentscheidung der russischen Migrationsbehörde, betonen aber auch, dass Snowdens Schicksal damit nicht entschieden sei.

Das Hauptproblem eines dauerhaften politischen Asyls für den „Whistleblower“ in einem Land sei weiter ungelöst, meint der Menschenrechtsbeauftragte beim Kreml, Michail Fedotow. Denn hier handele es sich um eine „humanitäre Hilfe“, Snowden aus seiner Hängepartie vom Flughafen zu befreien.

Der Kreml weist seit längerem jede Beteiligung an dem Fall zurück: Hier habe eben nicht Präsident Wladimir Putin entschieden, der als einziger politisches Asyl gewähren könne. Es handele sich also um ein „unbedeutendes Ereignis“, eine einfache Behördenentscheidung, behauptete Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow. Russland gefällt sich seit Wochen in der Rolle des Beschützers von Menschenrechten im Fall Snowden. Und seit Tagen versuchen die Russen, die politische Dimension herunterzuspielen und den Fall auf eine menschliche Ebene zu ziehen.

Lon Snowden, der Vater von Edward, kündigte in russischen Staatsmedien an, sich nun bald mit seinem Sohn hier treffen zu wollen. Womöglich wollen beide gemeinsam zu den Olympischen Winterspielen im russischen Schwarzmeerkurort Sotschi im Februar 2014, sagte er. Der 52-Jährige riet seinem Sohn auch zum weiteren Aufenthalt in Russland - und dankte Putin dafür, dass er sich US-Auslieferungsforderungen nicht beuge.

Dass Russland nun nach einigem Zögern Snowden doch ganz schnell Asyl zubilligt, fällt mit der Verurteilung des Wikileaks-Informanten Bradley Manning in den USA zusammen. Moskaus Kommentatoren forderten vor diesem Hintergrund, Snowden nun rasch aufzunehmen. Anwalt Kutscherena sah auch kein Problem in den neuen Enthüllungen Snowdens über US-Ausspähprogramme. Snowden hat demnach die Dokumente an die britische Zeitung „The Guardian“ übergeben, bevor er Putin zusagte, den USA nicht durch weiteres belastendes Material zu schaden.

Russische Politologen unterstrichen, dass Moskau und Washington auf diesen neuen Schritt in der Snowden-Saga vorbereitet gewesen seien. Alles andere hätte enormen außenpolitischen Gesichtsverlust bedeutet für Putin und Russland, hieß es allenthalben. Auch Putin und US-Präsident Barack Obama hatten wiederholt betont, dass dieser Fall eines einzelnen Menschen nicht ihr ohnehin gespanntes Verhältnis noch weiter belasten dürfe. Aber dem Kreml dürfte klarsein, dass die USA den Schritt Russlands nicht unbeantwortet lassen werden.

Möglich ist nach Meinung von Beobachtern, dass die USA, die selbst regelmäßig schwere Menschenrechtsverstöße in Russland anprangern, Moskauer Beamte mit Sanktionen belegen. Kommentatoren auf beiden Seiten halten es aber auch für möglich, dass Obama seinen für Anfang September geplanten Russland-Besuch verkürzen und auf den G20-Gipfel in St. Petersburg begrenzen könnte.

Für ein geplantes Treffen von Putin und Obama in Moskau - schon vor der Zusammenkunft der führenden 20 Wirtschaftsnationen - sehen Experten ohnehin kaum einen Anlass. Die USA und Russland liegen nicht nur in ihrem Umgang mit dem Syrien-Konflikt über Kreuz. Der Kreml ließ Obama unlängst mit einer neuen atomaren Abrüstungsinitiative abblitzen. Moskaus Vorschlag lautet, auch andere Atommächte zu beteiligen.

Zudem stört sich Russland weiter an den US-Plänen für eine Raketenabwehr in Mitteleuropa. Die immer neuen Enthüllungen über US-Ausspähaktivitäten verstärken indes bei den Russen Reflexe, die Rolle der „Weltpolizei“ USA zurückzudrängen.