Analyse: „Größte Herausforderung seit dem Kalten Krieg“
Warschau (dpa) - Seit Monaten überlagert der Konflikt in der Ukraine die Sicherheitsdiskussionen zwischen Ostsee und Karpaten.
Mehr als einen Monat vor dem Nato-Gipfel in Wales bestimmte die Lage jenseits der Nato Ostgrenze am Dienstag den Regionalgipfel der Präsidenten ehemaligen Warschauer Pakt Staaten in Warschau.
„Meiner Meinung nach ist der russisch-ukrainische Konflikt die größte Herausforderung für die Sicherheit Europas seit dem Ende des Kalten Krieges“, sagte Gastgeber Bronislaw Komorowski im Säulensaal des Präsidentenpalastes vor seinen Amtskollegen aus Litauen, Lettland, Estland, Rumänien, Bulgarien, Tschechien und der Slowakei.
In dem Saal, in dem vor 25 Jahren bei den Gesprächen am Runden Tisch der politische Wandel der gesamten Region den Anfang nahm, ging es nun um alte Ängste und neues Bedrohungsgefühl. Russlands Verhalten, von der Annexion der Krim bis zur Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine, sei ein Bruch der „Grundlagen, auf denen die internationale Sicherheit aufbaut“, betonte Komorowski. Durch den andauernden Konflikt stehe nicht nur die Existenz der Ukraine als souveräner und demokratischer Staat auf dem Spiel, „sondern auch die Glaubwürdigkeit der europäischen Ordnung.“
Für viele Politiker in Polen und den baltischen Staaten war der Beitritt zur Nato vor 15 Jahren noch bedeutsamer gewesen als die Mitgliedschaft in der EU. Der Beitritt zum westlichen Bündnis war für sie das klare Signal, dass die Zeit der sowjetischen Hegemonie endgültig vorbei war. „Nie wieder Jalta“, hieß es damals in zahlreichen Kommentaren und Reden. Die Teilung Europas in Einflussgebiete der Weltmächte sollte sich nie wiederholen.
Doch in den vergangenen Monaten und besonders in den Tagen seit dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine MH17 klingt in Politikeräußerungen und Medienkommentaren Unverständnis, Frustration und Kritik an der aus Sicht der Ostmitteleuropäer zu zögerlichen Haltung der Westeuropäer durch. „Die Europäische Union hat weder Entschlossenheit noch ein Bewusstsein für die wachsende Bedrohung“, schrieb der langjährige polnische Bürgerrechtler Adam Michnik vor wenigen Tagen und warnte vor einer Appeasementpolitik wie nach der Annexion des Sudetenlandes durch Nazi-Deutschland. „Wir dürfen nicht die Fehler der damaligen intellektuellen Eliten im Umgang mit Hitler und Stalin wiederholen.“
Die östliche Nato-Flanke müsse gestärkt werden, forderte Komorowski auch am Dienstag vor seinen Amtskollegen in Warschau. „Wenn die europäischen Länder weiterhin so unschlüssig handeln wie bisher, dann können wir das als eine direkte Einladung an den Aggressor auffassen, noch aggressiver zu sein und voranzuschreiten“ sagte auch die litauische Präsidentin Daria Grybauskaite vor der Abreise nach Warschau im litauischen Rundfunk. „Genau wie der Nationalsozialismus im vergangenen Jahrhundert nicht gestoppt wurde, sehen wir nun den aggressiven "großrussischen" Chauvinismus, und der Angriff gegen zivile Flugzeuge ist das Ergebnis davon. Und diejenigen, die es organisiert haben, die den Befehl gegeben und die die Waffen geliefert haben, müssen vor das Haager Tribunal.“
Der polnische Regierungschef Donald Tusk hatte bereits am Tag des mutmaßlichen Abschusses des malaysischen Flugzeugs von einem Terrorakt gesprochen, und Komorowski schrieb am gleichen Tag an seinen ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko: „Man kann und muss hoffen, dass einigen politischen Kreisen die Schuppen von den Augen fallen, was den wahren Charakter des Konflikts und die tatsächliche und nicht nur theoretische Bedrohung der Sicherheit der Region angeht.“