Analyse: Herbe Niederlage beendet Ära Berlusconi
Rom (dpa) - Götterdämmerung am Tiber: Silvio Berlusconi ist nicht mehr Herr in der autoritär von ihm geführten Partei. Und in dem Showdown mit ihm hat sich Regierungschef Enrico Letta, den Berlusconi eigentlich wie zuvor schon Mario Monti zu Fall bringen wollte, in beiden Kammern das Vertrauen der Parlamentarier gesichert.
Letta (47) muss nicht das Handtuch werfen, ist gestärkt, während Berlusconi (77) das Ende der Fahnenstange sieht. Schon so oft hieß es, seine Zeit sei vorbei. Diesmal könnte dies in der Tat der Fall sein. Seine Mitte-Rechts-Partei PdL (Volk der Freiheit) ist gespalten, ihm drohen nicht nur der Verlust des Senatorensitzes, sondern weitere Verurteilungen gleich in mehreren Prozessen.
„Die Niederlage Berlusconis“, triumphiert am Donnerstag die linksliberale römische Anti-Cavaliere-Speerspitze „La Repubblica“. Nüchtern und analytisch der rechtsliberale Mailänder „Corriere della Sera“: „Die Ära Berlusconis ist mit einem letzten Bluff zu Ende gegangen“. Denn er habe noch einmal eine politische und persönliche Niederlage als einen Sieg vorgespiegelt.
Das aber hat ihm in Italien wohl keiner mehr abgenommen. Man habe seinen Versuch, die Regierung zu stürzen, entschlossen abgewehrt, so tönte es nach Lettas zweitem Vertrauenserfolg zufrieden aus dem Quririnalspalast von Staatschef Giorgio Napolitano. Dieser hatte zusammen mit Letta erfolgreich die Strategie gegen den Mann entworfen, der sonst der Strippenzieher war.
Überzeugend hat Letta so die Frage beantwortet, ob er weitermachen kann oder das Handtuch werfen muss. Turbulente Wochen in der Politik des Krisenlandes gipfelten in der Vertrauensfrage in beiden Kammern. Enrico Letta sprach von einem „historischen Tag“ und will jetzt mit erneuertem Elan die dringenden Probleme des EU-Sorgenkindes angehen.
Ob das Experiment einer großen Koalition im drittgrößten Land der Euro-Zone nach nur gut fünf Monaten enden würde oder nicht, das war nur die eine Frage. Denn auch für Berlusconi sollte dies ein Tag der Wahrheit werden - der „Padrone“ der Rechten stand vor einer offenen Revolte in seinem Lager: Viele hielten weiter zu Letta. So entschloss sich der Medienzar und Milliardär in einer letzten Kehrtwende doch noch, Letta zu stützen - „für das Land und dabei nicht ohne Qual“.
Dabei hatte er Letta „den Stecker ziehen“ und baldige Neuwahlen erreichen wollen. Bauchschmerzen bereitete dem Cavaliere, dass die Spaltung seiner rechten Partei bereits vor den Vertrauensabstimmungen vollzogen schien: 23 Senatoren seiner PdL (Volk der Freiheit) hatten sich von ihm abgewendet und waren auf Lettas Seite geblieben. Eine neue Mitte-Rechts-Kraft jenseits von Berlusconi ist angekündigt, er musste rasch noch retten, was überhaupt noch gerettet werden konnte.
Den Fehdehandschuh hatte Berlusconi kurz vor den entscheidenden Stunden im Parlament ausgerechnet jener Mann hingeworfen, der lange loyal als seine rechte Hand und Chef der Partei gewirkt hat. In einem überraschenden Schachzug forderte Vize-Regierungschef Angelino Alfano die Parlamentarier der PdL-Partei (Volk der Freiheit) auf, für eine Fortsetzung der Regierungsarbeit mit Letta und mit dessen linker Partei zu votieren. Damit stellte sich Alfano, einst als Kronprinz gehandelt, erstmals ganz offen und frontal gegen seinen Patron.
Das Grummeln in Berlusconis Partei war längst zu einem Gewitter geworden. Als Berlusconi den „Falken“ in seinem Lager folgte und den Rückzug der fünf Minister aus Lettas Kabinett autoritär anordnete, brach der Widerstand gegen die Regierungskrise aus. Nur widerwillig folgten die Minister seiner Anweisung. Die Front in der Partei gegen die von Berlusconi angestrebten baldigen Neuwahlen wuchs und wuchs.
Während auf der rechten Seite jetzt noch versucht werden dürfte, diesen Bruch womöglich doch noch notdürftig zu kitten, liegt für die Politik an diesem Freitag schon ein weiterer Stolperstein im Weg: Im Immunitätsausschuss des Senats beginnt die entscheidende Runde über einen Ausschluss des Senators Silvio Berlusconi, weil dieser wegen Steuerbetrugs rechtskräftig verurteilt worden ist und gehen muss.
Die Fäden im Hintergrund zog auch diesmal Staatschef Giorgio Napolitano. Er wollte keine Neuwahlen, vielmehr eine „unbefristete“ Regierung. Sie soll nicht nur die marode Wirtschaft des Landes wieder ankurbeln, sondern eine Wahlrechtsreform durch das Parlament bringen.
So kam Berlusconis Entscheidung, Letta kippen zu wollen, als Bumerang zu ihm zurück. Also alles nur Theaterdonner und nun Friede, Freude, Eierkuchen in Rom? Wohl kaum. Ob die Koalition harmonischer werden kann, muss sich zeigen. Und das Erdbeben um Berlusconi kann die Parteienlandschaft stark verändern. Mit oder ohne den Cavaliere.