Analyse: Historische Einigung mit dem Iran
Wien (dpa) - Auf Krücken geht US-Außenminister John Kerry zum Familienfoto mit seinen Amtskollegen.
Trotz seines Beinbruchs vor sechs Wochen hat der 71-Jährige voller Energie in einem abschließenden 18-tägigen Verhandlungsmarathon ein Atomabkommen mit dem Iran erreicht, das in die Geschichtsbücher eingehen wird. „Heute ist ein guter, ja vielleicht ein historischer Tag“, sagt Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Wien, erleichtert und fast etwas überrascht darüber, dass Diplomatie auch heute noch einen großen Weltkonflikt lösen kann.
Die Welt ist damit sicherer geworden - davon sind die sieben beteiligten Nationen überzeugt. Die Angst vor einer iranischen Atombombe wurde eingetauscht gegen die Hoffnung auf einen Neubeginn der Beziehungen mit der Islamischen Republik. „Die Auseinandersetzung galt nie dem iranischen Volk“, sagt Kerry mit Blick auf das von den Sanktionen erschwerte Leben der 78 Millionen Perser.
Begonnen hatte die Erfolgsgeschichte vor fast zwei Jahren. Das 15-minütige Telefonat im September 2013 zwischen US-Präsident Barack Obama und dem neu gewählten iranischen Präsidenten Hassan Ruhani war eine politische Sensation. Zwei Erzfeinde sprachen auf höchster Ebene wieder miteinander. Seitdem haben die USA, die anderen UN-Vetomächte und Deutschland ein diplomatisches Feuerwerk gezündet, um den Atomstreit mit Teheran beizulegen und so die Entwicklung iranischer Nuklearwaffen zu verhindern.
Mit heute seltener Einigkeit zogen die USA, China und auch das wegen des Ukraine-Konflikts ins Abseits geratene Russland an einem Strang. Am Ende der langen, zermürbenden Verhandlungen in Wien ist der seit 13 Jahren schwelende Streit nun mit einem historischen Abkommen besiegelt - ein seltener Sieg der Diplomatie.
Die letzte Runde dauerte nicht vier Tage, wie geplant, sondern fast drei Wochen. Hunderte Journalisten verfolgten das zähe Ringen in einem großen Zelt vor dem Tagungshotel, versorgt mit Kaffee, 3500 Mozartkugeln und 2000 Manner-Schnitten. Die Erschöpfung unter der Presseschar mag auch ein Grund für den ungewöhnlichen Beifall der Beobachter beim Familienfoto der Minister gewesen sein.
Das Ziel der 5+1-Gruppe (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland) war: den krisengeschüttelten Nahen und Mittleren Osten sicherer zu machen. Teheran muss sein Atomprogramm so begrenzen, dass es keine Nuklearwaffen entwickeln kann. Zugleich befreit die schrittweise Aufhebung der Sanktionen den Iran aus seiner internationalen Isolation.
Das kann positive Folgen haben weit über den Iran und das Nuklearthema hinaus: Zum Beispiel für den Kampf gegen die Terrormiliz IS, ein gemeinsames Interesse des Westens und des Irans. Der Prozess habe gezeigt, was Dialog leisten könne, meinte Steinmeier. „Vielleicht setzen wir mit dieser Vereinbarung ein Signal der Hoffnung den Kräften des Chaos im Mittleren Osten entgegen.“
18 Monate nach dem Übergangsabkommen von Genf war die Finalrunde eine Achterbahn-Fahrt der Gefühle und Erwartungen - zwischen großem Optimismus, Ratlosigkeit und der Angst, ein hochkomplexes Abkommen zu schließen, das leicht angreifbare Punkte haben könnte.
Vor allem für die USA und den Iran ist die Übereinkunft ein Meilenstein - seit der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran im Jahr 1979 hatte Eiszeit geherrscht. Doch nun saßen Außenminister Kerry und sein iranischer Amtskollege Mohammed Dschawad Sarif am selben Tisch. Den Reformern im Iran gibt der Deal Auftrieb und für US-Präsident Obama ist es - neben der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Kuba - ein großer außenpolitischer Erfolg.
Doch mit einem Händedruck zum Abkommen vor laufenden Kameras ist es nicht getan. Die Übereinkunft hat viele Gegner - im US-Kongress und natürlich auch in Israel. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete einen Deal als „Pfad zur Atombombe“ für den Iran. Und so schwierig die Verhandlungen waren, die Umsetzung wird kaum leichter werden, meinen Experten.
„Ich glaube, Schwierigkeiten werden vor allem in der Phase der Umsetzung beginnen“, sagt Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) soll die Vertragstreue des Irans überwachen. Teheran muss den Inspekteuren über sehr lange Zeit sehr weitreichenden Zugang gewähren. Es gebe für Gegner des Abkommens Möglichkeiten, das zu erschweren, meint Meier.
In Washington gibt es vor allem bei den Republikanern viele Gegner eines Abkommens. Der Kongress kann den Deal nun 60 Tage prüfen und ihn ablehnen, aber Obama könnte ein solches Votum überstimmen.
Das Ende der Sanktionen im Finanzbereich und des Öl-Embargos könnte die Wirtschaft des Irans ankurbeln - und davon dürften auch deutsche Firmen erheblich profitieren. Im Iran haben Waren „made in Germany“ einen guten Ruf, schließlich war Deutschland in einigen Bereichen einst der wichtigste Handelspartner Teherans. Mittelfristig hält der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) eine Vervierfachung des aktuellen Exportvolumens von 2,4 Milliarden Euro für realistisch.
Das Geld dafür wird der Iran haben. Denn mit dem Fall der Sanktionen erhält er Zugriff auf weit mehr als 100 Milliarden Dollar (90 Milliarden Euro) eingefrorener Gelder auf Konten ausländischer Banken. Damit könnten aber nicht nur zivile Waren, sondern auch Waffen gekauft werden, fürchten Kritiker des Deals. Der Iran könnte seine Unterstützung für Gruppen wie die libanesische Hisbollah-Miliz oder die Palästinenserorganisation Hamas gar noch ausbauen.
So war der eigentliche Knackpunkt der zähen Verhandlungen, dass sich beide Seiten immer noch tief misstrauen. Aber schon im Fall der neuen US-Politik gegenüber Kuba hatte Kerry gesagt, dass die Erzfeinde sich nun auf die Zukunft konzentrieren wollen. „Dinge können sich ändern, Führungskraft kann gestalten.“ Gesagt, getan - fürs Erste.