Analyse: Höchste Friedensweihen für die EU
Kopenhagen/Oslo (dpa) - Die meisten Norweger mögen die EU ganz und gar nicht, aber der Chef des Osloer Nobelkomiteechefs ist glühender Fan: Ex-Regierungschef Thorbjørn Jagland hat die Vergabe des Friedensnobelpreises nach Brüssel durchgeboxt.
Ausgerechnet im europakritischen Oslo kann Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso oder ein anderer EU-Repräsentant am 10. Dezember den Friedensnobelpreis für die Europäische Union abholen. Zweimal, 1972 und dann wieder 1994 haben sich die Norweger bei Volksabstimmungen gegen den Beitritt ausgesprochen. Der derzeitigen Union, gebeutelt von Finanzkrise und zunehmenden sozialen Verwerfungen, möchten laut Umfragen 72 Prozent der Norweger fernbleiben. Das sind so viele Bürger wie nie zuvor.
Aber einen besonders europabegeisterten Norweger ficht das nicht an, und der ist Chef im Nobelkomitee. „Man kann sehr wohl die norwegische EU-Mitgliedschaft infrage stellen und trotzdem die historischen Leistungen der Union anerkennen“, sagte Thorbjørn Jagland am Freitag nach der Verkündung des Preises im Nobelinstitut. Der 61-jährige Sozialdemokrat, Ex-Regierungschef und jetzige Generalsekretär des Europarates hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die EU für eine absolut nobelpreiswürdige Einrichtung hält.
„Die innernorwegische Debatte ist dabei vielleicht nicht das Wichtigste“, meinte Jagland zur Osloer Kritik. Schon bei seinem Antritt als Chef des Nobelkomitees 2009 machte er klar, dass von nun an mit spektakulären Küren zu rechnen sei. Die Vergabe an den gerade erst ins Amt gekommenen US-Präsidenten Barack Obama war Jaglands Visitenkarte: Keine Angst vor Kontroversen.
Sogar der Preisträger selbst fand, er habe ja noch gar nichts Rechtes geleistet und trage nun einen Preis auf Vorschuss als Last mit sich herum. Jagland wies die Kritik genauso kategorisch zurück wie im folgenden Jahr diskrete Warnungen aus den sozialdemokratischen Regierungsreihen vor einer Vergabe an den chinesischen Oppositionellen Liu Xiaobo. Norwegen bekam den Zorn der Pekinger Führung bis in dieses Jahr diplomatisch und auch wirtschaftlich zu spüren.
„Wir wollen laufende und noch unfertige Entwicklungen für den Frieden mit dem Preis unterstützen“ sagt Jagland immer wieder. Er sieht deshalb keinen Widerspruch zwischen der diesjährigen Entscheidung und dem in der derzeitigen Krise alles andere als strahlenden Erscheinungsbild der EU: „Wir sehen auch, dass Extremismus und Nationalismus wieder auf dem Vormarsch sind. Der Preis ist ein Signal, dass das Erreichte gesichert werden muss.“
Selten zuvor hat sich ein Komiteechef im Osloer Nobelinstitut vor den Verkündungen persönlich so profiliert wie der als Ministerpräsident (1996-1997) gescheiterte Jagland. Das mögen nicht alle. Die Linkssozialisten warfen ihm Freitag vor, per Putsch im Komitee die Kür der EU durchgesetzt zu haben.
Heimische Journalisten fragten Jagland, ob er nicht unaufhaltsam auf Streit und Zersplitterung im Komitee zusteuere. „Nein, warum?“ antwortete Jagland im Sender NRK. Seine derzeitige Amtszeit läuft bis Ende 2014. Zeit für zwei weitere spektakuläre Nobelpreisvergaben.