Analyse: Im Wendland trifft Taktik auf Krawall
Gorleben (dpa) - Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke auf der einen Seite - Molotowcocktails, Böller und Steine auf der anderen Seite. Lange bevor der Castor-Transport mit hoch radioaktivem Atommüll Norddeutschland erreicht hat, ist die Stimmung im Wendland schon jetzt überaus angespannt.
Bereits am Donnerstagabend liefern sich rund um das Dorf Metzingen bei Dannenberg Polizeihundertschaften heftige Auseinandersetzungen mit Demonstranten auf der Bundesstraße 216. Auch am Freitag kommt es an mehreren Orten in der Region zu Krawallen - auch hier werden Wasserwerfer eingesetzt. Sorgen bereiten der Polizei dabei zumeist weniger die ansässigen Bürger, sondern kleine Gruppen, die eigens für Randale ins Wendland reisen.
Atomgegner bezeichnen das Vorgehen der Einsatzkräfte und die massive Präsenz als maßlos. Dagegen verteidigen sowohl Landes- als auch Bundespolizei ihr Vorgehen als angemessen. „Wir setzen alles daran, die Routen freizuhalten“, sagt Torsten Oestmann, Sprecher der Polizei Lüneburg. Das rustikale Verhalten der Störer überrasche aber selbst erfahrene Einsatzkräfte.
Vorwürfe seitens der Protestorganisationen, die Polizei schlage in diesem Jahr eine härtere Gangart ein, weist Oestmann von sich. „Wir haben unsere Vorgehensweise vor Ort nicht geändert. Es geht darum, auf den Einzelfall bezogen, angemessen und differenziert zu reagieren.“ Nur die Gesamtstrategie sei nach den Erfahrungen im Vorjahr angepasst worden: „Neben den Transportwegen des Castors-Zugs konzentrieren wir uns auch darauf, alle nötigen Versorgungswege freizuhalten.“
2010 hatten Demonstranten an mehreren Orten die Versorgungswege der Polizei längerfristig abgeschnitten und dadurch die Verpflegung und den Austausch ermüdeter Polizisten verhindert.
„Da waren wir im vergangenen Jahr verwundbar“, sagt Polizeioberrat Christian Poppendieck von der Bundespolizei der Nachrichtenagentur dpa. Taktikänderung dürfe man dies aber nicht nennen. „Wir gehen in diesem Jahr nur schneller und konsequenter vor“, betont er.
„Wir sind stinksauer, das ist eine Machtdemonstration gewesen“, sagt Carsten Niemann von der Bäuerlichen Notgemeinschaft in Dannenberg mit Blick auf die ersten Polizeieinsätze. Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ appelliert an die Polizei, auf Gewalt zu verzichten: „Selbst diejenigen, die Schotter aus dem Gleisbett der unbefahrenen Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg entnehmen, haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.“
Während Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) die laufenden Einsätze nicht kommentieren will, erhält die Einsatzleitung Rückendeckung von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Der Einsatz sei genau richtig gewesen, sagt der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. „Es darf kein Zweifel daran gelassen werden, dass das Gesetz geachtet wird.“
Das gelte auch, wenn Polizisten mit Farbbeuteln und Böllern angegriffen werden, betont Wendt. Die Wasserwerfer seien daher auch zu Recht zum Einsatz gekommen. „Das war eine Mahnung an alle, Ruhe zu geben.“ Mit Wasserregen, der leichtesten Variante von Wasserwerfern, seien die Demonstranten besprüht worden. „Das dokumentiert das defensive Konzept der Polizei“, sagt Wendt.
Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, äußert sich zurückhaltender: „Ich bin überrascht von den heftigen Auseinandersetzungen.“ Witthaut forderte von beiden Seiten ein Ende der Gewalt. Unter den Polizisten sei die Stimmung bereits etwas angespannt. „Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft.“
Wann genau der Castor-Transport das Wendland erreichen wird, ist unklar. Sowohl die Polizei als auch die Demonstranten hoffen jedoch, dass die Zahl der Verletzten nicht in hochschnellen wird: Der Höhepunkt sei noch lange nicht erreicht, betonen beide Seiten am Freitag.