Analyse: In der Eurozone fehlt ein Chefpilot
Brüssel (dpa) - Die Appelle kommen vor allem aus dem Europaparlament.
Die politisch Verantwortlichen der Eurozone, also die Staats- und Regierungschefs oder die Finanzminister, müssten so rasch wie möglich zusammenkommen, um die gefährliche Griechenland-Krise zu entschärfen, lautet die Forderung aus der Volksvertretung.
Parlamentspräsident Martin Schulz setzt sich dafür ein, die wenigen Tage zwischen dem Auslaufen des Hilfsprogramms Dienstagnacht und dem griechischen Referendum am Sonntag zu überbrücken. „In kritischen Lagen muss man kreativ sein“, meint der SPD-Europapolitiker. Eine rechtliche Lösung dafür könne er aber auch nicht bieten.
Gerade auf der Ebene der 19 Staats- und Regierungschefs des Eurogebiets gibt es seit längerem nur eingeschränkte Bereitschaft, Krisengipfel zu Griechenland abzuhalten. Diese ablehnende Haltung bekam Ratspräsident Donald Tusk zu spüren, als er vor eineinhalb Wochen ein Sondertreffen auf Spitzenniveau einberief. Keiner der „Chefs“ war dem Vernehmen nach dafür, außer Griechenlands Premier Alexis Tsipras.
Keiner wolle „die politische Verantwortung für dieses Problem“, bilanziert einer, der regelmäßig die ganz Mächtigen trifft, mit Blick auf die eskalierte Griechenlandkrise. Milliardenhilfen für das pleitebedrohte Land an Europas strategisch wichtiger Südostflanke seien in so gut wie allen Mitgliedstaaten unpopulär.
Frankreichs Staatschef François Hollande, der sich üblicherweise aufgeschlossen für Griechenland zeigt, überraschte vor gut einer Woche bei dem vorläufig letzten Euro-Gipfel mit der Ankündigung, es werde kein drittes Hilfspaket für Athen geben.
Vor dem Hintergrund geschlossener Banken in Griechenland signalisiert der Herr des Élysée-Palasts dann zu Wochenbeginn, Frankreich sei bereit, die Verhandlungen mit Athen wieder aufzunehmen. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) meint, die Tür für weitere Gespräche nach dem Referendum sei nicht verschlossen.
Beide Spitzenpolitiker saßen in den vergangenen Wochen häufig in Top-Runden zu Griechenland. Über Monate hinweg tagten Experten, Euro-Finanzminister und EU-Spitzenvertreter in verschiedenen Zusammensetzungen, „um die Kuh vom Eis zu bringen“, wie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte. Doch der Kraftakt scheiterte.
Der christsoziale Luxemburger setzte sich dabei laut Schulz „wie kein Zweiter“ für die Interessen Athens ein. Spar- und Reformanforderungen wurden heruntergeschraubt und verändert. Doch es half nichts. Am Freitag vergangener Woche - unmittelbar vor der Ankündigung des Referendums - verließen griechische Unterhändler die Gespräche.
„Mit der Ankündigung der Volksabstimmung wurde der Anlauf einseitig gestoppt(...)“, resümiert Juncker bitter und enttäuscht. „Man kann nicht eine Demokratie gegen 18 andere ausspielen. Das passt nicht zur griechischen "Grande Nation".“
In der Krise haben vor allem die Euro-Finanzminister das Heft in der Hand. Sie entschieden am vergangenen Wochenende - ohne den griechischen Ressortchef Gianis Varoufakis - das endgültige Ende des Rettungsprogramms und damit einen Stopp weiterer Hilfen. Die Chef-Kassenhüter konzentrieren sich laut Diplomaten vor allem auf Zahlen und Notmaßnahmen wie Kapitalverkehrskontrollen.
Das große Problem, das hinter der Krise stehe, also die Zukunft des Euro und des gemeinsamen Währungebiets mit 330 Millionen Menschen, könne jedoch nicht allein von den Chef-Kassenhütern gelöst werden, lautet die Einschätzung.
In der Tat ist das ein Thema für die „Chefs“. Erst vergangene Woche diskutierte der EU-Gipfel mit 28 Mitgliedstaaten über einen Bericht zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Pläne sind ehrgeizig. Auf lange Sicht soll es ein Euro-Finanzministerium und einen hauptamtlichen Chef der Euro-Finanzminister geben. Die Frage, ob damit eine Krise mit dem Ausmaß Griechenlands besser zu bewältigen wäre, bleibt aber unbeantwortet.