Analyse: Iren empfinden Abstufung als Tiefschlag
London/Dublin (dpa) - Die Iren verstehen die Welt nicht mehr - oder besser gesagt: die Finanzwelt. Der kleine Inselstaat tut was er kann, die knapp 4,5 Millionen Iren sind fleißig und nehmen jede notwendig gewordene Kürzung der sozialen Leistungen wie ein Boxer mit Nehmerqualitäten.
„Wir erfüllen alle Zielsetzungen, die uns der Internationale Währungsfonds (IWF) vorgegeben hat“, sagt Finanzminister Michael Noonon. Am Dienstag kam wie aus heiterem Himmel wieder ein neuer Schlag: Die Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit Irlands auf Ramschniveau herab - für viele Iren ein Schlag ins Gesicht.
Und wieder: Die Iren verhalten sich wie ein Kämpfer, der immer weitermacht, egal wie viel er einstecken muss. „Das macht uns nicht allzuviel aus“, sagte Transportminister Leo Varadkar am Mittwoch. Irland sei nach der Kreditzusage von IWF und EU derzeit sowieso nicht an den Kapitalmärkten aktiv. Deshalb seien die durch die Herabstufung erhöhten Zinsen für irische Staatsanleihen nur graue Theorie. Industrie-Minister Richard Bruton sieht es nicht ganz so gelassen. „Es ist frustrierend, und es macht unseren Job schwieriger“, sagte er im Fernsehsender RTE.
Dabei geht es den Iren ohnehin nicht gut. „Es gibt kaum einen, der nicht von der Krise betroffen ist“, sagt Kelly Campbell. Die junge Schauspielerin hat die Einkaufsstraßen von Dublin noch nie so leer gesehen, wie in diesem Sommer. „Kein Wunder, wenn man plötzlich 30 Prozent weniger auf dem Konto hat, aber trotzdem seinen Kühlschrank füllen, die Schulsachen für die Kinder und die Hypothek bei der Bank bezahlen muss.“ Doch auch sie resümiert: „Man muss realistisch sein und weitermachen.“
Die irische Wirtschaft spaltet sich. Während die Einheimischen durch die notwendig gewordenen Haushaltskürzungen der Regierung bei immer weniger Gehalt immer mehr Steuern und Abgaben zahlen müssen, boomt die Exportwirtschaft. Internationale Konzerne mit Europa-Ableger in Irland machen riesige Gewinne von der grünen Insel aus - allerdings praktisch ohne Beschäftigungseffekt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 15 Prozent.
Der Außenhandel kletterte im vergangenen Jahr um schwindelerregende 20 Prozent nach oben. Die Leistungsbilanz zeigte erstmals seit zehn Jahren wieder einen kleinen Überschuss. Die Exporte kaschierten den schwachen Binnenkonsum und ließen die Wirtschaftsleistung insgesamt im ersten Quartal um 1,3 Prozent steigen. Ohne Export wäre sie um rekordverdächtige 4,3 Prozent gesunken.
Industrieminister Bruton sieht in der neuesten Einschätzung von Moody's dennoch keinesfalls eine Reaktion auf ein Versagen der Regierung oder des Staates, seine Verpflichtungen zu erfüllen. „Es zeigt Unsicherheit, die als Ergebnis unterschiedlicher Herangehensweisen, die in Europa diskutiert werden, erwachsen ist“, sagte der Minister.
Selbst eine Sprecherin von EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte die Moody's-Entscheidung als „zumindest fragwürdig“ kritisiert. „Die irische Regierung hat Entschlossenheit und Entschiedenheit beim Einsetzen des Stabilisierungsprogrammes gezeigt“, sagte sie. Die Banken würden rekapitalisiert und das Finanzsystem werde repariert. Das Land sei dank starker Exporte auf dem Weg, wieder wettbewerbsfähig zu werden.
Noch weniger Verständnis für die Moody's-Sicht der Dinge hat Irlands größter unabhängiger Börsenmakler und Anlageberater Bloxham. „In unseren Augen ist dieser jüngste Schritt von Moody's zynisch und manipulativ“, sagten die Börsenfachleuten der „Irish Times“. Er komme zwei Tage bevor IWF und EU in ihrem Vierteljahresbericht Irland bescheinigen wollten, alle Verpflichtungen zu erfüllen. „Am Ende muss man sagen, dass die Ratingagenturen viel zu große Macht haben - aber dafür können sich die Politiker nur selbst die Schuld geben.“