Analyse: Irland kämpft sich aus der Krise

London (dpa) - Im krisengeschüttelten Irland macht derzeit zur Aufmunterung die Geschichte von einem legendären Werbecoup die Runde. Als die Guinness-Brauerei vor 52 Jahren ihren 200. Geburtstag feierte, ließen die Werbestrategen 150 000 Bierflaschen von Schiffen aus in den Atlantik werfen.

In jeder Flasche war eine Botschaft aus dem „Büro von Neptun“ und eine Anleitung, wie man aus der Flasche eine Schreibtischlampe basteln kann. Noch heute tauchen die Lampen mit dem Guinness-Logo überall auf der Welt auf. Es wurde - so berichtet die Brauerei stolz - die längste Werbekampagne der Welt.

Die Guinness-Geschichte soll den Iren Mut machen. „Unternehmergeist, Kreativität und Erfindungsreichtum“, fordert Premierminister Enda Kenny von seinen Landsleuten. Irland war vor einem Jahr nach einer Bankenkrise am Boden, musste sich vom europäischen Rettungsschirm mit 67,5 Milliarden Euro helfen lassen und selbst noch 17,5 Milliarden drauflegen - und ist gerade dabei wieder aufzustehen. „Wir sind anders als Griechenland“, lautet die Botschaft. „Wir schaffen das.“

Kenny ist emsig. Gerade hat er die Zinsen für die internationalen Hilfskredite deutlich heruntergehandelt. 3,5 Milliarden Euro wird Irland dadurch sparen, errechnete das Irish Fiscal Advisory Council in einem am Mittwoch vorgestellten Report. Kenny hat ein ehrgeiziges Ziel. Spätestens 2013 - wenn möglich vielleicht sogar schon 2012 - will er Irland am freien Markt wieder kreditfähig gemacht haben.

Wenn es klappt, wäre es eine rasante Erfolgsgeschichte. Irland spart, was das Zeug hält. Der Schuldenberg ist größer als die gesamte Wirtschaftsleistung eines Jahres - 160 Milliarden Euro. Angehäuft von verantwortungslosen Bankern und skrupellosen Immobilienspekulanten. Kenny drückt mit seinem Sparplan vor allem die Neuverschuldung. Die Quote fiel von 32 Prozent der Wirtschaftsleistung im Vorjahr auf voraussichtlich 10,6 Prozent 2011.

Entscheidend ist aber auch der Abbau des Berges. „Dafür braucht es Wachstum“, sagt ein Diplomat in Dublin stirnrunzelnd. „Die inländische Wirtschaft bleibt bis 2015 schwach und die Finanzausstattung des Staates wird in der nächsten Zukunft noch anfällig sein“, prognostizieren nämlich die Experten des Advisory Councils. Bis 2015 muss nach ihrer Empfehlung beim Sparen deshalb noch einmal um satte vier Milliarden Euro nachgelegt werden.

Die starke irische Exportwirtschaft mit internationalen Konzernen wie Intel oder Paypal hat es geschafft, den schwachen Binnenkonsum zu kompensieren. Um 1,6 Prozent wuchs das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal. Doch zum Abtragen des immensen Schuldenberges dürfte das auf Dauer zu wenig sein. „Fünf, sechs Prozent, wie zu Beginn des Jahrtausends“, seien nötig, sagen unabhängige Beobachter in Dublin. Die Arbeitslosigkeit, aktuell noch immer über 14 Prozent, ist nur eines der Hemmnisse.

Der Premier setzt auch auf die irische Diaspora. 4,5 Millionen Menschen leben in Irland. 80 Millionen Menschen mit irischen Wurzeln leben überall in der Welt verstreut. Kenny plant eine Tourismusoffensive, mehr aber noch auf die Kontakte zu einflussreichen Auslands-Iren. 300 von ihnen hatte er am Wochenende nach Dublin eingeladen - Banker, Industrielle, Künstler und Politiker aus aller Welt. „Ihr könnt es und ihr werdet es schaffen“, rief etwa Bill Clinton, Nummer 42 in der Liste der US-Präsidenten, den Iren bei seiner Abreise aus Dublin zu und erinnerte sie an ihre Stärken.

Unangenehmere Besuche sind für Premierminister Kenny und seine Regierungsmannschaft die der „Troika“. Seit Dienstag werfen die Aufseher von Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Dublin wieder für zehn Tage prüfende Blicke in die Bücher. Zwar attestieren sie den Iren seit Monaten vorbildliche Sanierungsarbeit.

„Da ist noch Luft drin“ sagt aber auch ein Diplomat mit Blick auf die öffentlichen Haushalte. So musste sich die Regierung etwa dazu aufraffen, endlich für Trinkwasser Geld zu verlangen, um die Einnahmen zu steigern. Erst soll nun wohl eine Pauschalerhebung eingeführt werden, ehe man mit der flächendeckenden Installation von Wasseruhren beginnen will.

Die „Troika“ wird bei ihrem aktuellen Besuch besonders den Haushalt 2012 im Blick haben, den das Parlament in Dublin Anfang Dezember beraten wird. Besonders im öffentlichen Dienst könnten die Kassenprüfer Spielraum entdecken. So ist etwa der Anteil der Personalkosten im Gesundheitswesen in Irland mit 56 Prozent einsame Spitze in Europa. Andere Beamte dagegen klagen, weil sie bereits einen 15-Prozent-Schnitt zu verkraften hatten. „Das Bild ist, dass wir hier jahrelang nur gefeiert haben“, sagt eine Frau, die in einem Ministerium arbeitet. „Das ist einfach nicht wahr.“