Analyse: Israel stellt sich auf langen Kampf in Gaza ein
Tel Aviv/Gaza (dpa) - Die Taucher der israelischen Eliteeinheit Schajetet 13 kamen im Dunkel der Nacht an der Küste von Gaza an Land.
Zu Fuß drangen die speziell ausgebildeten Kampfschwimmer dann in das Palästinensergebiet vor, um dort besonders häufig genutzte Abschussrampen der radikal-islamischen Hamas zu zerstören. Vier von ihnen wurden am frühen Sonntag bei einem heftigen Schusswechsel mit militanten Palästinensern verletzt, bevor der Trupp sich mit Unterstützung der Marine und von Hubschraubern wieder zurückzog.
Es ist der erste Bodeneinsatz israelischer Soldaten in dem Küstenstreifen seit Beginn der neuen Runde der Gewalt am Dienstag. Er wurde als mögliche Vorstufe einer größeren Bodenoffensive Israels gewertet.
Die Lage der 1,8 Millionen Menschen im Gazastreifen wird angesichts der massiven Luftangriffe Israels immer verzweifelter, eine Waffenruhe ist aber trotz steigender Opferzahlen nicht in Sicht - obwohl internationale Bemühungen schon angelaufen sind. Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird etwa am Montag und Dienstag in der Region erwartet. Unter anderem stehen Gespräche mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas auf seinem Programm.
Michael Herzog vom Washington Institute for Near East Policy, ein ehemaliger israelischer Friedensunterhändler, geht aber nicht von einer baldigen Waffenruhe aus. „Beide Seiten haben völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man diesen Konflikt beenden kann“, sagte er am Sonntag. Es fehle gegenwärtig auch ein „effektiver Vermittler“.
Die Hamas wolle sich mit Gewalt aus einer tiefen politischen und finanziellen Krise retten und stelle Bedingungen, die ihre Lage deutlich verbessern sollten. Es gehe um eine Öffnung des Rafah-Übergangs zu Ägypten, die Freilassung von Hamas-Mitgliedern, die Israel wieder festgenommen hat, sowie die Bezahlung der Gehälter von mehr als 40 000 Angestellten im Gazastreifen.
„Israel will dagegen eine handfeste Waffenruhe, damit wir diese Krise nicht in ein paar Monaten wieder durchspielen müssen“, sagte Herzog. „Im Moment sehe ich noch keine Bereitschaft der Hamas, eine Feuerpause zu akzeptieren.“
Es gebe viele potenzielle Vermittler wie den Nahost-Gesandten Tony Blair, Deutschland, die USA, die Türkei und Katar, jedoch keine dominante Kraft. „Es gibt keinen handfesten Vorschlag an die Konfliktparteien“, sagte Herzog. „Wir könnten jetzt erstmal eine länger anhaltende Konfrontation erleben.“
Das Ziel der massiven israelischen Offensive sei aber keinesfalls die Zerschlagung der Hamas, betonte ein Kommentator des israelischen Rundfunks am Sonntag. „Israel hat ein einziges, relativ bescheidenes Ziel: Den Raketenbeschuss zu stoppen und die Ruhe wiederzustellen“, sagte er. Netanjahu hat angekündigt, die Offensive werde weitergehen, „bis wir sicher sind, dass Israels Bürger Ruhe haben“.
Doch die Lage ist alles andere als ruhig. Samstag war mit rund 60 Toten für die Palästinenser in dem blockierten Gebiet der bislang blutigste Tag des jüngsten Konflikts. Allein beim Bombardement des Hauses von Gazas Polizeikommandeur Taisir al-Batsch wurden mindestens 18 seiner Familienmitglieder getötet.
Israel wirft der Hamas vor, sie missbrauche Zivilisten absichtlich als Schutzschilde, auch um den jüdischen Staat in ein schlechtes Licht zu rücken und internationalen Druck zu erzeugen. „Israel benutzt seine Waffen, um seine Zivilisten zu verteidigen, die Hamas benutzt ihre Zivilisten, um ihre Waffen zu verteidigen“, lautet das Motto des israelischen Militärsprechers Peter Lerner.
Für Hamas ist der neue Schlagabtausch mit Israel bisher eine Kombination aus Erfolg und Misserfolg. Erstmals ist es der radikal-islamischen Organisation gelungen, Raketen auf Ziele weit über Tel Aviv hinaus und auf viele Ortschaften gleichzeitig zu schießen. Andererseits hat es in Israel bisher dank der Raketenabwehr „Eisenkuppel“ keine Todesopfer gegeben.
Fünf von acht Millionen Israelis sind jedoch in Reichweite der gefährlichen Geschosse, sogar der Flugverkehr auf dem internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv kann durch sie gestört werden. Die Hamas hat damit bewiesen, dass sie trotz ihrer jüngsten Krise das tägliche Leben in Israel empfindlich beeinträchtigen und viele Menschen in Angst und Schrecken versetzen kann.