Analyse: Kosovo-Krise wird wieder brandgefährlich
Pristina/Belgrad (dpa) - „Serbien wird keinen Krieg führen“, beteuert sein Staatspräsident Boris Tadic angesichts der gewaltsamen Auseinandersetzung um zwei Grenzübergänge des Kosovos zum großen Nachbarn.
„Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer“, kommentieren serbische Analytiker am Mittwoch unisono und die Zeitung „Danas“ titelt „Kosovo-Kriegsspiele“. Innenminister Ivica Dacic hatte schon zuvor die Aufteilung der abgefallenen früheren serbischen Provinz zwischen Serbien und Albanien angeregt.
Keine Frage: Die Nerven in Serbien liegen blank. Einerseits will man die Ausweitung des Einflussbereichs der Kosovo-Regierung auf den serbisch bewohnten Norden nicht zulassen. Auf der anderen Seite sind die Möglichkeiten Belgrads mehr als beschränkt, sagen selbst die heimischen Kommentatoren. Militärisch kann die durch die Nato-Angriffe 1999 weitgehend besiegte serbische Armee gegen die Nato-geführte KFOR-Schutztruppe im Kosovo nichts ausrichten. Politisch darf Belgrad nicht zu stark reagieren, weil sonst der für das Jahresende geplante Status des EU-Beitrittskandidaten gefährdet ist.
Gebetsmühlenartig wiederholen die Politiker, allen voran Außenminister Vuk Jeremic, Serbien werde sich gegen die EU und für das Kosovo entscheiden, sollte Brüssel die Anerkennung Pristinas durch Belgrad verlangen. Auch Vizeregierungschef Dacic hat vor wenigen Tagen gefordert, man müsse sich vorsichtshalber auch schon mal mit diesem Szenario befassen. Unterdessen ist die Zustimmung der Bevölkerung zu einem EU-Beitritt ihres Landes auf 53 Prozent abgesackt.
Die innenpolitische Lage im Kosovo und in Serbien begünstigt die Verschärfung des Kosovo-Problems. In Pristina steht die Regierung in Wirtschaft und Justiz unter mächtigem Druck der Opposition. Da trifft es sich gut, mit dem Reizthema Serbien von den tagtäglichen Schwierigkeiten des bitterarmen Landes abzulenken. In Serbien stehen Parlamentswahlen an. Der Regierung droht wegen der daniederliegenden Wirtschaft eine herbe Niederlage. Die Politiker freuen sich, dass jetzt Kosovo und nicht die soziale Misere der Bevölkerung im Mittelpunkt des Interesses steht.
Die Kontrolle des serbisch beherrschten Nordkosovos durch die Regierung in Pristina ist der Schlüssel für den Erfolg des seit drei Jahren selbstständigen Staates. Vor allem wegen der tiefen Zerstrittenheit des Auslandes wurde bisher die Lage dort eingefroren: Ein praktisch gesetzloser Raum. Die Autos fuhren ohne Nummernschilder, Gerichte gibt es ebenso wenig wie eine funktionierende Polizei. Nur die Mafia, die mit groß angelegtem Schmuggel Geld verdient, sowie die Agenten der Geheimdienste fühlen sich hier wohl.