Analyse: Lateinamerika - die katholische Bastion
Berlin/Buenos Aires (dpa) - Lateinamerika ist die stärkste Bastion der Katholiken: Die Jesuiten, Orden des neuen Papstes Franziskus, hatten früher in Argentinien und Paraguay sogar eine Art eigenen Staat errichtet.
Die Papstwahl könnte der Kirche helfen, den Boom christlicher Sekten zurückzudrängen.
Wie gottesgläubig die Argentinier sind, zeigt sich am Beispiel Diego Maradona. Da ist nicht nur die Hand Gottes, die die Engländer bei der Fußball-WM 1986 aus dem Turnier boxte. Im April 2004 wurde er wegen hohen Blutdrucks und einer Lungenentzündung in ein Krankenhaus in Buenos Aires eingeliefert. Tagelang beteten hunderte Menschen vor der Klinik mit Rosenkränzen in der Hand lautstark für ihr Idol. Mal wieder schaffte es die Fußball-Legende, dem Tod von der Schippe zu springen. Die Menschen dankten es Gott.
Nirgendwo sonst ist die katholische Kirche noch so einflussreich wie in Lateinamerika. Präsident Carlos Menem (1989-1999), Sohn muslimischer Einwanderer, musste extra zum katholischen Glauben übertreten, denn bis 1994 schrieb die Verfassung vor, dass nur Katholiken in Argentinien Präsident werden können. Woher kommt diese starke Dominanz? Das fängt bei Christoph Kolumbus an und der folgenden Kolonialzeit, in der der Protestantismus verboten war.
In den meisten Regionen fiel die katholische Missionierung auf fruchtbaren Boden - aber die Spanier nutzen auch einen gewissen Hang zum Aberglauben gnadenlos aus. Als die Indigenas in den Minen des Silberbergs von Potosi (Bolivien) nicht mehr hart genug arbeiteten, stellten sie in jeder Mine einen Teufel (Tío) auf. Dieser würde sie bestrafen, wenn sie nicht genug Silber aus dem Berg schaffen. Bis heute steht ein Teufel in jeder Mine - und die Arbeiter huldigen ihm mit Kokablättern und Alkohol, damit sie heil wieder rauskommen.
Es sind einzelne Kirchenmänner, die gegen Ausbeutung mobil machen. Der Dominikanermönch Bartholomé de las Casas (1474-1566) ist es, der mit seinem Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder einen Beitrag geleistet habe zur Indianerschutzgesetzgebung, schreibt der auf Lateinamerika spezialisierte Politologe Nikolaus Werz. Als Folge der von Spanien und Portugal erzwungenen Christianisierung bildete sich ein Synkretismus heraus, eine Vermischung verschiedener Religionen und Bräuche, so Werz.
So mischt sich bei den Indigenas in Bolivien oder Peru der katholische Glaube mit einem Glauben an die Kräfte der Pachamama, der Mutter Erde. Schon in der Kolonialzeit entwickelte sich die Kirche zu einem dominanten Machtfaktor, die Kirche wurde Fürsprecher der Armen. Das gilt besonders für die Jesuiten, die nun erstmals einen der Ihren auf den Stuhl Petri entsenden. Sie errichteten ab 1609 eine Art Jesuitenstaat auf dem Gebiet des heutigen Paraguay, Brasilien und Argentinien, hunderttausende Indigenas lebten in den Missionssiedlungen (Reduktionen).
Die Jesuiten gingen auf ihre Lebensgewohnheiten ein und lernten ihre Sprache - sie versuchten nicht wie andere Missionare die tradierten Gewohnheiten auszurotten. Hier konnten die Indigenas in Sicherheit vor Ausbeutung leben. Doch die Spanier misstrauten den florierenden Siedlungen. 1767 wurden die Jesuiten aus Südamerika verbannt. Noch heute sind in der Region Misiones Ruinen zu sehen.
Nach Erlangung der Unabhängigkeit war es im 20. Jahrhundert die Befreiungstheologie, die weltweit zu einem Begriff wurde - und zu harten Konflikten mit der Amtskirche in Rom führte. Es war eine vor allem politische Stoßrichtung: Es ging um die Überwindung ungerechter Strukturen. 1968 setzte sich auch die Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe für eine stärkere Hinwendung zur Gesellschaft ein, das Konzept einer „vorrangigen Option für die Armen“ gewann unter Priestern und Bischöfen immer mehr Fürsprecher.
Es waren und sind die Verhältnisse, die das soziale Thema für die Kirche hier sehr dominant machen. Daher ist es nicht überraschend, wenn etwa der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Adveniat, Prälat Bernd Klaschka, über Franziskus sagt: „Ein Papst, der die Armen kennt.“ Zwangsläufig in eine politische Rolle hineingedrückt wurde die Kirche in der Phase der Militärdiktaturen - dem bisherigen Kardinal Jorge Bergoglio wird ja nun vorgeworfen, zwei Jesuiten nicht vor der Verfolgung durch die Junta (1976-83) geschützt zu haben.
Der Erzbischof von Santiago de Chile, Kardinal Silva Henríquez, zog sich den Zorn von Diktator Augusto Pinochet zu, weil er die neuen Machthaber nicht unterstützte und zum Menschenrechtsanwalt wurde. Der den Militärs in El Salvador kritisch gegenüberstehende Erzbischof Óscar Arnulfo Romero wurde 1980 von einem Killer der Todesschwadronen erschossen, während er eine Messe zelebrierte. Aber zugleich gab es immer wieder Vorwürfe, die Kirche kooperiere mit Diktatoren.
Heute ist die Religiosität zwar weiter hoch. Laut Werz wurde 2002 in Brasilien die Rekordzahl von 8,6 Millionen Bibeln gedruckt. Zum Problem für die Kirche wird aber der Einfluss der Freikirchen und Sekten, die gerade in ländlichen Regionen stark an Einfluss gewinnen, teilweise sollen sie schon auf Anteile von über 20 Prozent kommen. Gerade deshalb könnte der Papst aus Buenos Aires den katholischen Einfluss auf dem Kontinent wieder stärken. Noch dazu ist er Fußballfan. Der Ballsport ist ja gerade in Argentinien eine Ersatzreligion. Franziskus hat die Mitgliedsnummer 88235 des Erstligisten San Lorenzo. Das Team aus Buenos Aires hat unter Fans den Spitznamen „Los Santos“. Zu deutsch: Die Heiligen.