Analyse: Franziskus setzt sich ab von Benedikt

München (dpa) - Wer Katholiken in Deutschland nach ihren Erwartungen an den neuen Papst fragt, bekommt oft zu hören: Er soll Frauen zum Priesteramt zulassen, das Heiratsverbot für Priester abschaffen und gemeinsame Eucharistiefeiern mit Protestanten erlauben.

Auch eine liberale Sexualmoral wird gefordert. Doch all diese Reformthemen sind für Jorge Mario Bergoglio nicht vordringlich. Er hat andere Prioritäten.

„Der neue Papst wird sich den Problemen nicht verstellen können“, meint der Freiburger Theologe Magnus Striet, warnt aber auch vor falschen Erwartungen: Franziskus sei kein „Liberaler“. Seine Stimme erhob Bergoglio als Erzbischof in Argentinien vor allem für die Armen, für soziale Gerechtigkeit und gegen politische Korruption.

Doch schon das ist ein Aufbruch, eine Kurskorrektur der Kirche. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hatten die lateinamerikanische Befreiungstheologie zurückgedrängt, die mit ihrer „Option für die Armen“ Partei ergriff gegen Machthaber und Großgrundbesitzer. Dem Vatikan war das zu marxistisch und kommunistisch, zu aufrührerisch. Er maßregelte führende Befreiungstheologen wie den Brasilianer Leonardo Boff, dem 1985 ein Rede- und Lehrverbot erteilt wurde. Bischofsstühle wurden mit konservativen Kandidaten besetzt.

Benedikt wollte die Kirche spiritualisieren, „entweltlichen“, liturgisch reinigen - ein Weg ins fromme Innere. Franziskus ist zwar kein Befreiungstheologe, geht aber den Weg nach außen, ins sozialethische Engagement. Damit steht er der Kirche in Deutschland nahe, die mit ihren Hilfswerken Caritas, Misereor, Adveniat und missio zu den weltweit größten nicht-staatlichen Playern in der Entwicklungshilfe gehört.

Erwartet wird, dass der neue Papst den Verwaltungsapparat in Rom und die Vatikanbank reformieren wird. Die internen Machtkämpfe und die ineffektive Struktur der Kurie haben zu viele Entscheidungen verzögert oder verhindert. Als „Externer“ muss der Argentinier weniger Rücksicht auf alte Seilschaften nehmen. Seine Kardinalsbrüder seien „nahezu bis ans Ende der Welt gegangen“, um einen Bischof von Rom zu bekommen, sagte er in seiner ersten Ansprache.

Viele Beobachter sehen darin einen Hinweis, dass Franziskus den römischen Zentralismus beschränken will und den Ortskirchen mehr Freiheiten gibt. „Die Subsidiarität und Kollegialität könnten gestärkt werden“, meint der Münsteraner Theologe Klaus Müller. Wenn die Bischöfe in Deutschland entscheiden, wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zuzulassen, könnte Rom das tolerieren.

Joseph Ratzinger hat dies bisher verhindert und die Kirche in seiner Heimat an die enge Leine genommen, erst als Präfekt der Glaubenskongregation, dann als Papst. Auch das Anliegen der deutschen Bischöfe, an der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung mitzuwirken, schmetterte er ab. Selbst das neue katholische Gesangbuch in Deutschland, das im Advent auf den Markt kommt, mussten sich die Bischöfe in jeder Zeile von Rom genehmigen lassen.

Bergoglio kennt Deutschland. In den 80er Jahren war er einige Monate an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Von ihm wird keine radikale Kehrtwende erwartet. Er lehnt die Eheschließung von Homosexuellen ab und setzt sich bisher auch nicht für mehr Frauenrechte in der Kirche ein. Aber vermutlich wird Franziskus die Zügel innerhalb der Weltkirche lockerer lassen, mehr Vielfalt und ortskirchliche Eigenständigkeit ermöglichen. Den dramatischen Priestermangel in Deutschland wird das nicht stoppen können, aber die Fenster und Türen in Rom werden ein Stück weit geöffnet.