Analyse: Letzter Ausweg Minsk
München (dpa) - Hoffnung und Zuversicht? Davon war drei Tage lang wenig zu spüren in München. Stattdessen gab es im Hotel Bayerischer Hof ganz andere Töne: Spaltung Europas, Bruch des Völkerrechts, Krieg.
Dies war eine der wichtigsten Sicherheitskonferenzen seit dem Ende des Kalten Krieges vor 25 Jahren. Aber am Ende des dreitägigen Treffens von mehr als 400 Politikern und Experten aus etwa 90 Ländern blieb vor allem das flaue Gefühl, dass in der Ukraine alles noch viel schlimmer kommen könnte, als es ohnehin schon ist.
„Wir sind von einer politischen Lösung des Ukraine-Konflikts auch nach dem letzten Verhandlungswochenende weit entfernt“, lautete die ernüchternde Bilanz von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntagmittag.
Kurz darauf gab es dann aber doch noch einen neuen Hoffnungsschimmer. Für den kommenden Mittwoch streben Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsidenten François Hollande und die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko, ein Gipfeltreffen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk an. Darauf verständigten sie sich telefonisch.
Es ist das dritte, aber mit Abstand wichtigste Treffen in dieser Zusammensetzung seit dem Beginn der Krise. Die Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen im Osten des Landes haben sich in den vergangenen Wochen immer weiter verschlimmert. Die Zahl der Toten ist auf weit über 5000 gestiegen. Alle diplomatischen Bemühungen der Außenminister um Deeskalation sind kläglich gescheitert.
Angesichts der verzweifelten Lage machten Merkel und Hollande die Krisendiplomatie am vergangenen Donnerstag zur Chefsache und reisten nach Kiew und Moskau, um einen neuen Friedensplan vorzubereiten. Dass schon weniger als eine Woche später ein Gipfeltreffen stattfindet, erhöht den Druck auf die Konfliktparteien immens. Die Erfolgschancen sind indes völlig offen.
In München schalteten Kiew und Moskau noch auf stur. Den eindrucksvollsten Auftritt legte Poroschenko hin. Wie schon vor zwei Wochen in Davos nutzte der ukrainische Präsident das internationale Forum, um bei Europäern und Amerikanern um Unterstützung für seinen Kampf gegen die prorussischen Separatisten zu werben. In der Schweiz hatte er ein Trümmerteil eines zerschossenen Busses dabei.
In München präsentierte der Ukrainer russische Pässe als - so sagte er - Beweis dafür, dass seine Truppen auch gegen Moskau kämpfen. „Ich bin ein Präsident des Friedens, kein Kriegspräsident“, beteuerte Poroschenko. Gleichzeitig forderte er aber Waffen vom Westen. Das passt nicht gut zusammen.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow wiederum hatte sich für die Münchner Konferenz vor allem eins vorgenommen: dem Westen die wirklich vollständige Schuld für das Desaster in der Ostukraine zu geben. Barsch und schmallippig kritisierte der Russe insbesondere die „amerikanische Obsession“ der Raketenabwehr in Europa und hielt den USA vor, damit globale Dominanz erreichen zu wollen. „Es stellt sich die Frage, ob sie eine Sicherheit mit, ohne oder gegen Russland errichten wollen.“
Die beiden Reden klangen so, als wenn in den Tagen zuvor nichts gewesen sei. Keine Pendeldiplomatie von Merkel und Hollande, kein neuer Friedensplan - nichts.
Merkel war in München vor allem damit beschäftigt, die vor allem in den USA immer lauter werdenden Forderungen nach Waffenlieferungen abzuwehren. Putin werde sich auch von einer hochgerüsteten ukrainischen Armee nicht beeindrucken lassen, sagte sie. „Militärisch ist das nicht zu gewinnen, das ist die bittere Wahrheit.“ Am Montag will die Kanzlerin bei einem Kurzbesuch in Washington US-Präsident Barack Obama von ihrer Linie überzeugen.
Ziel des Treffens am Mittwoch ist dann ein neuer Friedensplan, oder besser gesagt: Eine überarbeitete und ergänzte Neuauflage des Minsker Abkommens von Anfang September, das von den Konfliktparteien nicht eingehalten wird. Die entscheidende Frage ist dabei: Wie geht man mit den Gebietsgewinnen der Separatisten um, wo soll die Demarkationslinie verlaufen?
Eins ist klar: Schwammige Formelkompromisse kann es nicht mehr geben. Wenn selbst die Chefs mit ihrer Initiative scheitern, dann könnte das erhebliche Folgen auch für Europa haben. „Wenn jetzt der falsche Weg gewählt wird, (...) dann könnte es passieren, dass wir nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte brauchen, um die Scherben dieser falschen Politik, dieses falschen Weges wieder aufzukehren“, sagte Steinmeier in München. „Eine neue Spaltung Europas würde drohen, und das ist das, was wir alle miteinander zu verhindern haben.“