Analyse: Merkel auf EU-Sondergipfel in der Defensive
Brüssel (dpa) - Das war nicht der Gipfel der Angela Merkel - es war der Abend von François Hollande. Eher tapfer lächelnd absolvierte die Kanzlerin ihr Programm auf dem Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs.
Gipfelteilnehmer sagten, sie sei „angespannt“ gewesen. Kein Wunder: Die Niederlage der CDU in Nordrhein-Westfalen hat ihr zugesetzt, der Rauswurf des Umweltministers, die Sorgen um Griechenland - und dann der Neue aus Paris.
Zum offenen Konflikt mit dem französischen Staatschef kam es nicht, selbst nicht beim Streitthema Eurobonds. Alles blieb unter Kontrolle, wenn auch Gerüchte und Dementis über einen angeblichen Notfallplan für den griechischen Euro-Austritt zusätzliche Nervosität auslösten. Ein bisschen genervt hat die Kanzlerin vermutlich, wie ihre Kollegen dem Franzosen den Hof machten. Er war bei seiner Gipfelpremiere der Star des Abends, und er gab sich wenig Mühe, auf Merkel zuzugehen. Kurz standen sie sogar Rücken an Rücken, als Hände geschüttelt und Küsschen ausgetauscht wurden.
Merkel nahm sich aber Zeit, mit dem neuen griechischen Regierungschef Panagiotis Pikrammenos zu reden. Er wird nicht lange im Amt bleiben, aber es war ein kleines Zeichen in Richtung Athen. Immer wieder, zuletzt vom EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz, war Merkel vorgeworfen worden, man rede zu viel über die Griechen und zu wenig mit ihnen.
Wachstum, Eurobonds, Griechenland: Das waren die Themen des sechsstündigen Treffens. Wachstumsanreize für die von Rezession bedrohten oder schon erfassten Länder werden nun auf dem regulären Gipfel in fünf Wochen beschlossen. Eurobonds wird es auf absehbare Zeit nicht geben. In Merkels Umgebung wurde mit Genugtuung verzeichnet, dass Berlin in dieser Frage nicht allein steht, sondern die Ablehnung der gemeinsamen Anleihen von vielen Ländern geteilt wird. Das wird den neuen Chef im Élysée nicht daran hindern, die Forderung immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Ausgerechnet am Mittwoch machte die Nachricht die Runde, Deutschland habe für neue Anleihen null Prozent Zinsen aufzubringen, während Spanien über sechs Prozent zahlen muss. Für manche heißt dies, dass Deutschland von der Krise profitiert, während andere immer tiefer in den Schuldenstrudel gerissen werden. Und vor allem bei den kleineren Ländern ist eine deutliche Erleichterung darüber spürbar, dass die Zeiten von Merkozy, die Zeiten des Bündnisses von Merkel und Frankreichs Nicolas Sarkozy, vorbei sind.
Am Ende war es die bedrohliche Lage in Griechenland, die am Mittwoch nicht nur die Aktienkurse abstürzen ließ, sondern auch einen dunklen Schatten auf den Gipfel warf. Neuwahlen am 17. Juni, schon wieder, und Ungewissheit darüber, ob dann eine Regierung zustande kommt, die zu den umstrittenen Spar- und Reformverpflichtungen steht.
Der Sondergipfel sollte aus deutscher Sicht auch dazu dienen, den neuen französischen Staatschef rechtzeitig einzubinden, ihm die Chance zu nehmen, an Deutschland vorbei bilaterale Allianzen zu schmieden. „Merkel wäre isoliert, wenn sie keine Kompromisse machen würde“, sagt Parlamentspräsident Schulz. Auch in Berlin geht die Sorge um, dass Deutschland nicht mehr wie früher die Richtung bestimmen kann. „Das Isolierung zu nennen, geht vielleicht zu weit, aber die reine Lehre durchzusetzen, wie wir sie vertreten, wird doch immer schwerer“, sagt ein Parteifreund Merkels.
Allerdings traut man der Bundeskanzlerin noch einiges zu. „Man weiß nie, was sie als nächstes tut“, sagt ein EU-Diplomat. „Rote Linien hat es für sie schon öfter gegeben, und allmählich wurden sie rosa und dann weiß.“ Heute sagt Merkel: Griechenland muss die geschlossenen Vereinbarungen umsetzen. Da gibt es keinen Spielraum. Das ist die rote Linie - bisher.