Analyse: Merkel setzt sich bei Griechenland-Rettung durch
Brüssel (dpa) - Lange wurden sie in Brüssel als „Ultras“ belächelt: Deutschland, die Niederlande und Finnland pochten über Monate hinweg darauf, dass Banken und Versicherungen einen nennenswerten Teil der Lasten an dem neuen Griechenland-Hilfspaket tragen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte nun beim Brüsseler Euro-Krisengipfel ihre Kernforderung durch. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann billigte ihr deshalb ausdrücklich einen großen Anteil am Gelingen des Gipfels zu. „Ich sage das sehr respektvoll, dass auch die deutsche Bundeskanzlerin hier aus meiner Sicht einen großen Anteil trägt“, sagte Faymann.
Merkel selbst brachte in Brüssel das aktuelle Hilfspaket in Zusammenhang mit der historischen Bedeutung des Euro für die europäische Integration: „Der Euro ist mehr als eine Währung, er ist Ausdruck einer großen Verbundenheit in der Europäischen Union.“ Mit Blick auf die heimische Debatte um Nutzen und vor allem Kosten der Rettungsaktion für den Steuerzahler unterstrich die Kanzlerin: „Was wir in diesen Zeiten aufwenden, bekommen wir um ein Vielfaches zurück.“
Jean-Claude Trichet, der Chef der mächtigen Europäischen Zentralbank (EZB), gestand in letzter Minute zu, für den Ausnahmefall Griechenland diesen beispiellosen Weg zu wählen. Im dramatischen Machtkampf zog er den Kürzeren - gesichtswahrend, natürlich.
Die Bankenbeteiligung wird die Politik und die Finanzmärkte aber noch über Monate hinweg beschäftigen und wohl auch aufwühlen. Denn Deutschland und Frankreich lassen ausdrücklich zu, dass Ratingagenturen griechischen Papieren das Schand-Etikett „teilweiser Zahlungsausfall“ („selective default“) anheften. Dies wird aber nicht sofort passieren, sondern erst zu einem späteren Termin. Trichet hatte sich lange gegen dieses Szenario gewehrt, da er gefährliche Kettenreaktionen an den Finanzmärkte fürchtet. Nach dem Gipfel sagte er dazu lapidar: „Wir werden sehen, was passiert.“
Der mögliche Zahlungsausfall ist in der Eurozone beispiellos und muss entsprechend begleitet werden. So müssen die Europäer Sorge dafür tragen, dass griechische Banken nicht abstürzen. Denn eins wird die EZB nicht machen: ausgefallene Anleihen als Sicherheit für Zentralbankgeld annehmen. Da müssen dann neue Garantien her, im Gespräch sind Beträge von über 30 Milliarden Euro. Nach Vorstellungen der Finanzbranche soll die Phase des Zahlungsausfalls auf eine kurze Zeitspanne beschränkt werden, man redet von einigen Tagen.
Es gab bisher kaum europäische Gipfeltreffen, bei denen derart komplizierte Finanztechnik debattiert und entschieden wurde. Alle Beteiligten standen unter enormen Druck, denn es war klar: Es geht inzwischen nicht mehr nur um die Rettung Griechenlands, sondern auch um den Erhalt des Euro.
Steigende Renditen für spanische und italienische Staatsanleihen zeigen, dass die Schuldenkrise sich ausbreitet und Kernländer des Eurogebiets zu erfassen droht. „Es ist wichtig, den Euro zu retten, beispielsweise für unsere Jobs“, meinte der niederländische Regierungschef Mark Rutte.
Nicht nur Merkel sonnte sich im Gipfel-Glanz, sondern auch der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Er ergriff einen Tag vor dem Sondertreffen die Initiative und brach zu einem Blitzbesuch nach Berlin auf.
War der Herr des Elyséepalastes deshalb der eigentliche Star des Spitzentreffens? Darauf gab es keine klare Antworten. Einige sprachen davon, er habe die Konferenz gerettet. Er konnte in der nächtlichen Vor-Gipfelrunde in Berlin, zu der auch Trichet geladen war, zudem für sich ein wichtiges Anliegen durchsetzen.
Der Krisenfonds EFSF wird unter bestimmten Bedingungen auch Staatsanleihen auf dem Wiederverkaufsmarkt erwerben können, um Griechenland zu stabilisieren. Bisher war nur die EZB mit solchen Ankäufen eingesprungen - und hat stets betont, dass das für die Notenbank vorübergehende Aktionen bleiben müssen.
Und der Rettungsfonds wird künftig in der Lage sein, vorbeugende Programme für Wackelkandidaten im Eurogebiet aufzulegen. Das dürfte Nachbarn im Süden beruhigen. Für manche ist das der Einstieg in eine gemeinsame Schuldenpolitik. Die Befürworter sogenannter Eurobonds - zu ihnen gehört Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker - kämpfen schon lange dafür.
Man mag sich darüber wundern, wieso Griechenland, das nur 2,5 Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt, die Eurozone in die größte Krise in ihrer zwölfjährigen Geschichte stürzte. „Letztendlich ist der Euro so stabil wie in einer Kette das schwächste Glied“, sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann.
Kritiker meinen, dass die politische Führung der Eurozone zu wünschen übrig lässt. So fordert der belgische Vizepremier Didier Reynders als Konsequenz einen europäischen Finanzminister mit weitreichenden Kompetenzen.
Der Gipfel zog auch eine erste Bilanz nach gut einem Jahr Griechenland-Rettung. Das Fazit lautet: Die Kredite reichen nicht aus, und es muss ein „Marshallplan“ zur Ankurbelung der rezessionsgeschädigten Wirtschaft her. Hilfen aus milliardenschweren EU-Fördertöpfen sollen früher fließen. Und das Spitzentreffen widerlegte auch ein Vorurteil - dass bei der Griechenlandrettung Steuerzahlergelder im großen Stil versenkt werden. Allein Deutschland verdiente für seine Kredite an Athen bis Mitte des Jahres knapp 200 Millionen Euro an Zinsen.