Analyse: Merkels Frist und ein paar Bremsversuche
Berlin (dpa) - Nein, Angela Merkel haut nicht mit der Faust auf den Tisch. Die Kanzlerin kann warten. Bis Ostern, um die in ihrer Union so verfluchte Bürokratie beim gerade eingeführten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro zu überprüfen.
Und bis Ende Juni, um den Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer über die beiden geplanten großen Stromtrassen durch seine schöne bayerische Landschaft zu lösen.
„Vor dem Sommer gibt es Klarheit“, verspricht die CDU-Chefin nach einem Koalitionsgipfel im Kanzleramt. Der war außer der endgültigen Bestätigung der Mietpreisbremse nicht eben ergiebig. Aber nun ist beim Trassenstreit nach mehrfacher Vertagung mal ein Datum in Stein gemeißelt. „Juni ist nicht so weit, wenn man bedenkt, was da noch vor uns liegt“, sagt Merkel. Juni ist verdammt weit weg, finden dagegen einige CDU-Politiker, wenn man bedenkt, dass Seehofer beide Trassen bereits 2013 beim Bundesbedarfsplangesetz gebilligt hat.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat Merkel wissen lassen, dass er einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ will, weil sie und Seehofer sich noch zu schwarz-gelben Zeiten auf die Trassen geeinigt hatten. Und er als zuständiger Minister eine Lösung vorbereiten muss. „Wir können die Energiewende nicht auf Eis legen, bis die internen Differenzen in der Union geklärt sind“, mahnt der Vizekanzler.
Bei Hühnerfrikassee und Salat ging es bis nach Mitternacht viel um Geben und Nehmen. Bekommen hat die SPD genau die Bremse gegen zum Teil exorbitante Preissteigerungen bei Neuvermietungen, die bereits im Oktober vom Kabinett beschlossen worden ist. Aber wegen Bedenken der Union gegen ein Ende des Prinzips, dass die Mieter den Makler zahlen, noch nicht vom Bundestag beschlossen worden ist. Die Makler fürchten um viele Aufträge und wollen nach Inkrafttreten des Gesetzes - im April oder Mai - umgehend vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Die Union geht dafür mit der Kampfansage an überbordende Bürokratie beim Mindestlohn nach Hause. Die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit in neun für Schwarzarbeit anfälligen Branchen will man nur für Mitarbeiter bis 1900 Euro brutto Monatsgehalt mitmachen - nicht wie bisher bis 2958 Euro. Bis Ostern wird das überprüft und dann „gemeinsam“ bewertet.
Da die Arbeitgeber sich zuletzt massiv an Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) abarbeiteten und die Union sich als Hüter eines Wirtschaftskurses der Vernunft sieht, wird hier Nahles etwas ausgebremst und eingenordet. Sie wollte eigentlich einen eigenständigen Mindestlohn-Check - und zwar erst bis zum Sommer.
„Die brauchen eine Trophäe“, heißt es in ihrem Umfeld. So wird auch eine beschlussfähige Arbeitsstättenreform, die bis hin zu Fenstern und Heizungen in Arbeitsräumen alles Mögliche regelt, blockiert.
13 dürre Zeilen umfasst am Mittwoch die Erklärung zum Treffen - die Linke spottet über eine „Koalition des Stillstandes“, die alles vertage. Es werde immer zu viel hereininterpretiert in diese Runden, meint die SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht. Die wichtigen Dinge würden im parlamentarischen Verfahren im Bundestag geklärt. Nicht durch Machtworte und Auf-den-Tisch-Hauen am Abend.
Nach dem ersten Jahr der Großprojekte wächst aber das Misstrauen in der Koalition. Die Union, klarer Wahlsieger, der sich vom Juniorpartner SPD unangenehme Dinge in den Koalitionsvertrag diktieren ließ, will bei einigen Reformen klare Kante zeigen.
Merkel überstrahlt fast schon präsidial ihre große Koalition - ihre politische Spannbreite reicht von juristischen Detailfragen bei der Mietpreisbremse bis zu ihrer weltweit beachteten Friedensinitiative für die Ukraine und ihre harte Haltung gegenüber dem hoch verschuldeten Griechenland. Doch in der Union kommt Unruhe auf.
Seit der Bundestagswahl im Herbst 2013 liegt sie in Umfragen bei 41 Prozent. Das wird den Anhängern langsam unheimlich, wo doch die SPD mit Sachthemen punkten kann und trotzdem aus ihrem 25-Prozent-Tal nicht herauskommt. Eigene Themen wie die Abschaffung der kalten Progression und Digitalisierung würden stiefmütterlich behandelt.
2015 mit den Wahlen in den beiden SPD-dominierten Stadtstaaten Bremen und Hamburg sei der Druck noch nicht so groß, innenpolitisch mehr Konturen zu zeigen und Themen zu setzen, heißt es in der CDU. Doch 2016 gehe es um die Flächenländer Baden-Württemberg (Grün-Rot) und Rheinland-Pfalz (Rot-Grün). Hier müsse die CDU Erfolge vorweisen, um gestärkt ins Bundestagswahljahr 2017 zu gehen. Griechenland und die Ukraine seien von der Lebenswirklichkeit der Bürger dort zu weit weg.
SPD-Chef Sigmar Gabriel muss derweil seinen eigenen Laden im Griff halten. Denn das Murren wächst, ob der schlechten Umfragewerte. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil pocht auf eine rasche Kurskorrektur, eine Schärfung des Wirtschaftsprofils: „Es ist kein Naturgesetz, dass die Kompetenzwerte der SPD beim Thema Schaffung und Sicherung von Arbeit niedriger sind als die der Union.“