Analyse: Merkels Kanzlerkandidatur von Seehofers Gnaden?
Berlin (dpa) - Es ist eine der spannendsten Fragen im politischen Sommer 2016: Tritt Angela Merkel im Herbst 2017 noch einmal an, um weiter im Kanzleramt zu bleiben? Falls ja, dürfte die Union erneut stärkste Kraft im Bund werden.
Daran zweifelt wohl selbst in der SPD und bei der Opposition ernsthaft kaum jemand. Flüchtlingsfrust über die Kanzlerin hin, AfD-Erfolge her. Fast noch spannender ist aber eine andere Frage: Schaffen es Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, sich bis dahin irgendwie zusammenzuraufen? Das dürfte schwierig werden.
Am Wochenende meldete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unter Berufung auf CDU-Kreise, Merkel verschiebe wegen Seehofer die Verkündung ihrer dann vierten Kanzlerkandidatur voraussichtlich bis zum nächsten Frühjahr. Bei den Christdemokraten verorteten manche den Chef der kleinen Schwesterpartei CSU umgehend als mögliche eigentliche Quelle dieser Nachrichten.
Ob das so stimmt, blieb am Wochenende offen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber machte einen Hinweis auf das politische Sommerloch. Motto: viel Wind um wenig Inhalt. Doch in den Zeiten des erbitterten Flüchtlingsstreits zwischen Merkel und Seehofer dreht sich in den Schwesterparteien viel um Deutungshoheit und politische Psychologie. Wer Fehler eingesteht, gilt oft als schwach. Und Schwächlinge werden nicht gewählt, glauben sie dieser Logik folgend in Berlin.
Liest man den „Spiegel“ („CSU-Chef torpediert Zeitplan der CDU zur Bundestagswahl“), könnte tatsächlich der Eindruck entstehen, Merkel richte sich nach Seehofer. Ursprünglich habe sie geplant, schon im Frühjahr 2016 zu erklären, ob sie noch einmal Kanzlerin werden wolle. Wegen der Flüchtlingskrise und des Streits mit Seehofer habe Merkel dies dann auf den Herbst verschoben.
Nun sei auch dieser Zeitplan nicht zu halten, weil sich Seehofer bis zum Frühjahr offen lassen wolle, ob seine Partei die Kanzlerin unterstütze. SPD-Wadenbeißer Ralf Stegner ätzt, die Kandidatur Merkels hänge „offenbar am seidenen Faden der Gnade von Horst Seehofer“.
In Regierungs- und Parteikreisen werden solche Zusammenhänge als „frei erfunden“ bezeichnet. Merkel habe nie vorgehabt, sich schon im vergangenen Frühjahr zu erklären, sagt einer, der es eigentlich wissen muss. Frühestens werde Merkel dies auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember in Essen tun, sagen unabhängig voneinander mehrere Partei- und Regierungsinsider in der Hauptstadt. Frühestens. Eigentlich sei der richtige Zeitpunkt ein halbes oder ein dreiviertel Jahr vor dem Wahltermin.
Doch selbst wenn Merkel sich in Essen - wie von vielen Parteifreunden erwartet - wiederwählen lässt, bedeute das nicht zwangsläufig, dass sie als Kanzlerkandidatin antrete, glauben manche, die sie schon lange begleiten. Zwar werde die Erwartungshaltung dann wachsen, dass Merkel sich auch um eine erneute Kanzlerschaft bewirbt. Doch eine zwingende Kopplung zwischen beiden Kandidaturen - Parteivorsitz und Kanzleramt - gebe es nicht. Ob sich das durchhalten lässt?
Für eine erneute Kandidatur der Kanzlerin sprechen eine Reihe von Gründen: Selbst Merkel-Kritiker sehen trotz ihrer geschrumpften Beliebtheitswerte wegen der Flüchtlingspolitik keinen wirklich geeigneten Gegenkandidaten. Je später sie einen Verzicht erkläre, desto schwieriger werde es, einen Nachfolger aufzubauen. Es drohe ein Absturz - das will niemand in der regierungsgewohnten CDU, Merkel natürlich auch nicht.
Hinzu kommt die Kanzlerin selbst. Noch ist die ihr zugeschriebene Flüchtlingskrise nicht bewältigt. Das Friedensprojekt EU wackelt - nicht zuletzt wegen der Uneinigkeit als Konsequenz aus Merkels Haltung in der Flüchtlingspolitik. Da könne die Kanzlerin kaum von Bord gehen und einen Berg von ungelösten Problemen hinterlassen, glauben sie in ihrer Partei.
Merkel habe selbst im engeren Umkreis noch nicht angedeutet, wie sie sich entscheiden werde, heißt es in Unionskreisen. Es gebe aber keinerlei Anzeichen, dass sie nicht erneut antrete. Die Kanzlerin fuhrwerke ja derzeit geradezu in der Weltpolitik herum, sagt einer. Gerade ihre jüngsten Reisen quer durch Europa mit quasi pausenlosen Bemühungen zur Zukunft der EU nach einem möglichen Brexit zeigten doch, dass es keine Anzeichen von Resignation bei ihr gebe.
Merkel selbst hält sich mit Äußerungen zu ihrer Zukunft konsequent zurück. Sie werde sich „zum geeigneten Zeitpunkt“ dazu äußern, ist ihre Standardformel. An der dürfte sie vorerst wohl auch festhalten.
Bleibt das schwierige Verhältnis zu Seehofer. Die Merkel-Gegner in der CSU heizten mit Unwahrheiten die Gerüchteküche an, glauben manche Unionisten. Dabei gebe es in der Schwesterpartei trotz aller Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik noch einen nicht zu vernachlässigenden Teil eiserner Merkel-Anhänger. Auf diese könne auch Seehofer nicht verzichten, hoffen sie in der Kanzlerin-Partei.