Analyse: Minenfeld Afghanistan

Berlin/Kabul (dpa) - Afghanistan ist ein Minenfeld. Nicht nur im Wortsinn - auch für die Wortwahl. Das gilt vor allem für Staats- und Regierungschefs wichtiger Nationen der Schutztruppe ISAF.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das mit Äußerungen zum schwierigen Prozess des geplanten Abzugs bei ihrem Truppenbesuch am Montag am eigenen Leib erfahren. Mit ihrer schnellen Klarstellung dürfte sie Blessuren abgewehrt haben. Die SPD hält ihr dennoch Verwirrung vor. Und in der CDU wird bekräftigt, was Merkel abzuschwächen versuchte.

Als im Januar vier französische Soldaten von einem afghanischen Soldaten getötet wurden, drohte Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit beschleunigtem Abzug seiner Truppe. Die Aufregung von Kabul bis Washington war groß. Sarkozy ist im Wahlkampf. Tote Soldaten bekümmern die Menschen. Auch US-Präsident Barack Obama will eine Wahl überstehen. Es war seine Idee, die Truppen 2014 abzuziehen. Daran dürfte sich auch nichts mehr ändern - selbst wenn versichert wird, ausschlaggebend sei, ob die Sicherheitslage es auch erlaube.

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, die Situation in Afghanistan werde nicht besser, je länger die ISAF dort bleibe. „Wir sollten ... nicht immer neue Verwirrungen schaffen, wenn es um Abzugstermine geht.“ Ein Afghanistan-Landeskenner sagt, die Strategie des Westens drehe sich um einen zentralen Punkt: die Soldaten nach einem mehr als zehnjährigen Einsatz nun endlich nach Hause zu holen.

Nun hatte aber Merkel eben nicht von vorzeitigem Rückzug gesprochen. Vielmehr erweckte sie zunächst den Eindruck des Gegenteils. Sie sagte, der Wille zum Abzug bis 2014 sei da, aber am Versöhnungsprozess mit den Aufständischen müsse noch hart gearbeitet werden. „Und deshalb kann ich auch noch nicht sagen, schaffen wir das bis 2013/2014.“ Selbst die BBC stieg darauf ein. Noch im Camp der Bundeswehr in Masar-i-Scharif betonte die Kanzlerin dann, dass für sie der international vereinbarte Abzugstermin 2014 feststehe.

Merkel sagte also zunächst etwas, was die Chancen bei der Bundestagswahl 2013 Jahr eher verschlechtern als erhöhen könnte. Denn auch in Deutschland ist die Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen gegen den Einsatz. Gut möglich, dass die Kanzlerin bei ihrem Arbeitsprogramm, das auch drei Menschen ausfüllen würde, die Worte vorher nicht auf die Goldwaage legte. Man könnte aber auch vermuten, dass Merkel es trotzdem sagte. Sie reiste nach Afghanistan, um sich über die Lage zu informieren. Die Militärs setzten sie ins Bild.

Die Kanzlerin weiß, dass ohne die USA, die etwa 90 000 der 130 000 Soldaten in der ISAF stellen, in Afghanistan gar nichts läuft. Sind sie weg samt ihrem militärischen Gerät, wären die anderen auf verlorenem Posten. Die Bundeswehr in Nordafghanistan könnte ohne amerikanische Hubschrauber nicht einmal die eigenen Verletzten aus Gefechten mit den Taliban bergen.

Bis 2014 ist allerdings nicht mehr viel Zeit - dafür gibt es umso mehr offene Fragen. Bis zum Nato-Gipfel in Chicago im Mai wollen Washington und Kabul eine strategische Partnerschaft vereinbaren, die sich wegen schwieriger Verhandlungen - manche sagen: wegen der Sturheit der Afghanen - seit Monaten verzögert.

Einer der wichtigsten Punkte ist die Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte, die nach 2014 die Verantwortung im ganzen Land übernehmen sollen. Veranschlagt sind dafür 4,1 Milliarden Dollar pro Jahr. Im Juli findet in Tokio eine Afghanistan-Geberkonferenz statt. Den Löwenanteil werden wie immer die Amerikaner übernehmen - aber auch die Europäer müssen zahlen. Die Staatengemeinschaft hat Kabul versprochen, dem Land nach 2014 ein weiteres Jahrzehnt zu helfen.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, sagt der „taz“ (Mittwoch): „Ich habe das Datum nie so verstanden, dass mit dem 31.12.14 alle deutschen ISAF-Truppen aus Afghanistan abgezogen sein müssen. Es ist eher als eine Zielmarke zu verstehen.“ Er wehrte sich gegen den Eindruck, „der Abzug Ende 2014 sei die einzig mögliche Option“. Vielleicht stellte sich CDU-Chefin Merkel am Montag im Angesicht des Einsatzes die Frage, ob es sinnvoll wäre, das Land zu verlassen, wenn die Sicherheitslage noch zu fragil wäre.