Analyse: Mursi müht sich in Berlin um gute Stimmung
Berlin (dpa) - Achteinhalb Stunden nur. Mehr Zeit hatte Ägyptens Präsident Mohammed Mursi am Mittwoch nicht für Berlin. Angesichts der massiven Proteste zu Hause entschied sich der Mann aus der Muslimbruderschaft dafür, nicht so lange außer Landes zu bleiben.
Bei Ausnahmezustand und mehreren Dutzend Toten war das vermutlich auch besser so. Auf diese Weise schrumpfte der erste Deutschland-Besuch des islamistischen Staatsoberhaupts allerdings auf ein Minimalprogramm zusammen: Treffen mit Angela Merkel, drei sonstige Termine und abends noch eine Rede.
Immerhin: Erstmals als Präsident im westlichen Ausland stellte sich Mursi am Abend vor 200 Zuschauern einer öffentlichen Diskussion. „Im Namen Gottes, des Barmherzigen“ waren die ersten Worte des Gastes auf dem Podium. Doch weil sich der Ägypter bei der Veranstaltung der Körber-Stiftung um eine Stunde verspätet hatte, blieb am Ende kaum Zeit für einen echten Austausch. „Noch drei Fragen“, bat Diskussionsleiter Georg Mascolo, der Chefredakteur des „Spiegel“. „Fünf Minuten“, lautete der barsche Hinweis von ägyptischer Seite.
Ob denn in Zukunft für Touristen in Ägypten Alkohol und Bikinis erlaubt blieben, war dann die endgültig letzte Frage, bevor Mursi aus der komplett abgesperrten Berliner Innenstadt Richtung Flughafen aufbrach. Solche Sorgen hätten „keine „praktische Bedeutung“, antworte er auf die Ängste der Urlauber. „Die Leute sind frei zu tun was sie wollen, solange sie niemandem schaden.“ Und schließlich sei Alkohol am Steuer ja auch in Deutschland verboten, oder?
Überhaupt präsentierte sich der 61-jährige Ex-Funktionär der Muslimbruderschaft bei seinem ersten Besuch im Westen sehr professionell. Die militärischen Ehren, den gemeinsamen Gang mit Merkel über den Roten Teppich, die anschließende Pressekonferenz, und schließlich die Diskussion mit dem Publikum brachte er souverän hinter sich.
Die unangenehme Frage nach dem kürzlich aufgetauchten Video mit bösen Äußerungen über die israelischen Nachbarn („Kriegstreiber“, „Blutsauger“, „Nachfahren von Affen und Schweinen“) tat er gleich mehrmals mit der Bemerkung ab, die Zitate seien „aus dem Zusammenhang gerissen“ - eine Ausrede, wie sie auch in gestandenen Demokratien von Politikern benutzt wird.
Ansonsten war Mursi vor allem um gut Wetter bemüht. Zwar konnte er sich den Hinweis nicht verkneifen, der Westen habe das alte Regime in seiner Heimat Jahrzehnte lang alimentiert. Aber Deutschland habe Ägyptens Demokratiebewegung als eines der ersten Länder unterstützt, noch vor dem Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak vor zwei Jahren. Die „neue vielversprechende demokratische Atmosphäre“ zu Hause sei einer der wichtigsten Motivationsgründe für ihn, in der Arbeit fortzufahren. Und die Lage der Menschenrechte sei ja schließlich nicht schlimmer geworden. In Ägypten dürften sich viele über solche Sätze wundern.
Überhaupt vermittelte Mursi den Eindruck, als wisse er genau, was man in Deutschland von ihm hören will. Zum Beispiel ein Bekenntnis wie dieses: „Ägypten wird ein Rechtsstaat sein, ein ziviler Staat, welcher nicht militärischer oder theokratischer Natur ist. Ein Staat, der Meinung und Gegenmeinung zulässt. Ein demokratischer Staat in allen Bedeutungen dieses Wortes.“ Merkel beließ es angesichts solcher Sätze bei einem betont sachlichen Blick.
Die Kanzlerin selbst legte den meisten Wert auf Appelle an Mursi in den verschiedensten Variationen, vom Weg der Demokratisierung nicht abzukommen. „Ich wünsche, dass die Entwicklung in Ägypten friedlich sein kann und allen demokratischen Kräften Raum gibt. Es kommt darauf an, die Arbeit, die noch getan werden muss, jetzt voranzubringen.“ Fast hätte das schon das Schlusswort sein können.
An der Grundstimmung - einer großen Unsicherheit, wie es in Ägypten weitergehen wird - hat sich in Berlin noch nichts geändert. Immer noch liegt allzu viel im Ungewissen. Konkrete Ergebnisse des Besuchs gab es jedenfalls keine. Auch die größte Hoffnung der Ägypter - zusätzliches Geld aus Deutschland - erfüllte sich nicht.
Jetzt schon steht Ägypten hier mit 2,5 Milliarden Euro in der Kreide - wenn auch aus Zeiten, mit denen Mursi nichts zu tun hat. Im vergangenen Jahr, als es mit der Demokratiebewegung gerade einmal aufwärts ging, hatten die Deutschen zwar schon einen Schuldenerlass von 240 Millionen Euro versprochen. Aber angesichts der aktuellen Zustände will man in Berlin jetzt davon nichts mehr wissen. Allenfalls eine kleinere Tranche von etwa 30 Millionen, so heißt es nun, könnte zur Umwandlung freigegeben werden.