Analyse: Mursi-Sturz hat Israel kalt erwischt
Tel Aviv (dpa) - Dem offiziellen Israel hat der plötzliche Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi erst einmal die Sprache verschlagen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verpasste seiner Regierung einen Maulkorb.
Kein Kommentar zum Chaos beim Friedenspartner Ägypten, lautet die Devise. Jede Einmischung könnte unerwünschte Folgen im ägyptischen Machtpoker haben.
Israel ist vor allem an Stabilität und Berechenbarkeit des großen Nachbarn mit 85 Millionen Einwohnern interessiert, mit dem es seit 1979 einen relativ stabilen Friedensvertrag gibt. Viel tun kann Israel jedoch nicht - nur beten und hoffen.
Nur der Regierungschef selbst erlaubte sich eine vorsichtige Stellungnahme, bei einer Feier zum amerikanischen Unabhängigkeitstag am Donnerstag in der US-Botschaft in Tel Aviv. Ohne Ägypten ausdrücklich zu erwähnen, betonte Netanjahu, dass „alle, die nach Freiheit streben, unsere natürlichen Verbündeten sind“. Israel hoffe auf wirkliche Demokratie in der Region, aber das werde noch lange dauern. Tatsächlich weiß Israel nicht recht, ob es angesichts der Protestbewegung gegen die Muslimbrüder weinen oder lachen soll.
Das israelische Militär zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt. Von Truppenverlegungen oder anderen Vorsichtsmaßnahmen wie an der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien wurde zunächst nichts bekannt. Er sehe keine unmittelbare Gefahr für Israel, sagte der frühere Generalstabschef Gabi Aschkenazi. „Ich denke, die ägyptischen Streitkräfte sind (mit internen Angelegenheiten) zu beschäftigt, als dass sie sich um irgendetwas außerhalb des Landes kümmern könnten.“
Auch in der einjährigen Regierungszeit der Muslimbrüder sei der Friedensvertrag eingehalten und der Waffenschmuggel in den Gazastreifen bekämpft worden. Mursi hatte zwar die diplomatischen Beziehungen zu Israel auf Eis gelegt. Aber mit dem ägyptischen Militär lief die Zusammenarbeit weiter wie geschmiert. Und der Netanjahu-Vertraute Tzachi Hanegbi äußerte im Armeesender die Hoffnung, dass nun auch die diplomatischen Beziehungen wieder etwas freundlicher werden könnten.
Wie brenzlig die Lage aber vor allem auf der Halbinsel Sinai ist, zeigten Überfälle von Islamisten auf ägyptische Sicherheitskräfte ganz in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen am Freitagmorgen. Auch Israel befürchtet, dass Dschihadisten mit Verbindungen zum Iran und dem Terrornetzwerk Al-Kaida sowie Extremisten aus dem Gazastreifen das ägyptische Machtvakuum für neue Terrorangriffe auf Israel nutzen könnten. „Ich bin mir sicher, die israelischen Streitkräfte sind darauf vorbereitet“, sagte Aschkenazi einem Bericht der Zeitung „Jerusalem Post“ zufolge.
Pessimistisch äußerte sich auch der frühere israelische Botschafter in Kairo, Eli Shaked. „Es gibt so viele Fragezeichen. Die ägyptische Führung ist wirklich nicht zu beneiden, weil die Probleme so groß sind, weil sie einer chronischen und bösartigen Krankheit gleichen. Ich weiß nicht, zu welcher Zauberformel die nächste Führung greifen wird, aber ein Wunder täte wirklich Not“, sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.