Analyse: „Nackt über die Friedrichstraße“ - Röslers letzte Worte
Berlin (dpa) - Mit neun Wörtern verabschiedet sich Philipp Rösler von seiner Partei: „Es war mir eine Ehre, ihr Vorsitzender zu sein.“ Tränen stehen ihm in den Augen, als die Basis auf dem Berliner Parteitag ihn anständig beklatscht.
Es ist kein rauschender Abgang für den 40-Jährigen, wie auch.
Rösler wird als FDP-Chef in die Geschichtsbücher eingehen, der diegroße liberale Bewegung von Heuss, Scheel und Genscher in die außerparlamentarische Opposition gestürzt hat.
Sein Kumpel aus Hannover, Generalsekretär Patrick Döring, drückt ihn herzlich an seine breite Brust. Er ist der einzige, der das macht. Rainer Brüderle reicht Rösler, dem Rivalen, die Hand. Alle anderen auf dem blau-gelben Podest rühren sich nicht. Hoffnungsträger Christian Lindner, nur drei Meter entfernt, klatscht mechanisch, bewegt sich aber keinen Zentimeter hin zum einstigen Freund aus gemeinsamen „Boygroup“-Zeiten.
Die Alphatiere meiden die Nähe des großen Verlierers Rösler, der vor zweieinhalb Jahren angetreten war, aus der kalten FDP der Westerwelle-Ära eine mitfühlende, sozialere Partei nah bei den Menschen zu machen. Rückblickend wissen die Liberalen, dass das alles eine Nummer zu groß war für Rösler, der nebenbei auch noch als Vizekanzler und Bundesminister auftrat. Diese Erkenntnis wird durch seinen Vortrag am Samstag noch einmal bestärkt.
Der Niedersachse gibt in seiner 30-Minuten-Rede zu, dass er es nicht geschafft hat, die FDP breiter aufzustellen und zu motivieren. Bei seinen letzten Ministerterminen im Parlament sei es traurig gewesen, auf die einstigen FDP-Plätze zu schauen. Seine letzte Pflicht sei es nun, mit Anstand das Feld zu räumen. Viel mehr Selbstkritik ist von Rösler nicht zu hören, der sich von seinen Kollegen im Präsidium oft im Stich gelassen fühlte. Eine echte Fehleranalyse für den Absturz seiner Partei, wegweisende Ideen für die schwierige Zukunft hat er nicht zu bieten.
Stattdessen versucht Rösler ironisch, die von ihm ausgemachten Gegner in Union und Medien in Mithaftung zu nehmen. Wenn er mal ganz locker ohne Jacket über die Friedrichstraße laufen wolle, würde es doch in den Medien aus gut informierten Kreisen heißen, der Rösler plane, „demnächst nackt über die Friedrichstraße zu laufen“. Quasi als Ausdruck gelebter Kälte der FDP.
Der Witz ist in der alten Bahnhofshalle in Berlin-Kreuzberg, wo fast 1500 Liberale versammelt sind, ein Rohrkrepierer. Rösler fremdelte stets mit dem knallharten Machtbetrieb in der Hauptstadt. Bis zum bitteren Ende kurz vor Weihnachten wird er in einer Mansarde neben seinem Ministerbüro schlafen, eine Wohnung bezog der Familienvater nie. Wenn die große Koalition steht, geht Rösler zurück nach Niedersachsen. Was aus dem Ex-Bundeswehrarzt beruflich wird, ist ungewiss - so ungewiss wie das Schicksal der FDP.