Analyse: Nessie und Hotzenplotz jagen - Rösler im Wahlkampf-Modus

Nürnberg (dpa) - Plötzlich sind sie da. Sigmar Gabriel und Claudia Roth im Doppelpack. Auf einem FDP-Parteitag, das gab's noch nie. Fallen die Liberalen jetzt vom schwarz-gelben Glauben ab und blinken mit der Ampel?

In der Nürnberger Messehalle geht ein Raunen durch die voll besetzten Reihen.

Aber - aus Sicht der FDP - alles nicht so schlimm: Das rot-grüne Paar ist zwar überlebensgroß zu sehen, aber nicht in echt. Sondern nur auf einem Foto vom letzten SPD-Parteitag, das auf die beiden Riesenleinwände über der Bühne projiziert wird.

„Macht mal die Augen zu“, ruft FDP-Chef Philipp Rösler den 660 Delegierten im Saal entgegen. Und dann: „Wollen Sie wirklich, dass diese beiden über Ihr Leben entscheiden?“ Die Antwort gibt er selbst. „Wir wollen nicht, dass die beiden über uns entscheiden.“ Da jubelt das Parteivolk seinem Vorsitzenden zu.

Das ist schon beachtlich. Keine vier Monate ist es her, da wollten viele in der FDP ihren flapsigen Chef nur noch loswerden. Rösler nervte sie mit langatmigen Reden, galt als „Sprechautomat“ und leichtgewichtiger Sparringspartner für die Leute, die in Berlin wirklich das Sagen haben. Kaum jemand traute dem jetzt 40-Jährigen zu, die Partei im Herbst wieder in den Bundestag zu bringen.

Dann holte Rösler 9,9 Prozent in der Heimat Niedersachsen. Jetzt trägt er selbstbewusst den Kampfanzug - und der sitzt überraschend gut. Wäre er immer so aufgetreten, hätte kaum jemand in der Partei jemals etwas gegen den gelernten Augenarzt haben können. So muss sich der Spitzenkandidat Rainer Brüderle am Sonntag anstrengen, um ähnlich viel Gunst des Publikums zu erhalten.

Röslers Bilder, mit denen er in Nürnberg die Angst vor einer rot-grün-roten Verbote-und-Abkassierer-Republik heraufbeschwört, sind zwar nicht besonders originell. Irgendwie hat man das schon beim vorherigen Parteitag in Berlin gehört, der keine zwei Monate zurückliegt. Aber die Delegierten johlen, wie er sich den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück vorknöpft.

„Nessie, das Monster von Loch Ness, lebt. Es ist kein Mädchen, sondern ein Junge, 66 Jahre alt und heißt Peer Steinbrück“, dichtet Rösler. Er rast nun durch eine blau-gelbe Welt, wo die Linkspartei mit Heckenscheren wütet und der grüne Spitzenmann Jürgen Trittin als Räuber Hotzenplotz den Bürgern in die Tasche greift. Die Guten tragen Schwarz-Gelb und gewinnen am 22. September, glaubt Rösler.

Deshalb wirbt er auch für den „Mindestlohn light“, den er der FDP verordnen will. Die Partei könne sich nicht stolz auf die soziale Marktwirtschaft berufen, wenn einzelne Arbeitgeber ihre Mitarbeiter mit drei Euro die Stunde abzocken. Auf das Mega-Thema Steuerhinterziehung, mit dem Bayern-Präsident Uli Hoeneß die Republik bewegt, geht er dagegen im Frankenland mit keinem Wort ein.

Glaubwürdigkeitslücken zeigen sich in der Gesellschaftspolitik. Dass ausgerechnet Rösler Vorreiter für mehr Frauenrechte sein will, dürften die wenigsten Wählerinnen dem Vorsitzenden eines liberalen Männervereins abnehmen.

Angreifbar macht sich die FDP auch beim Lagerwahlkampf, den Rösler in Nürnberg ausruft. Er preist Schwarz-Gelb, redet aber wie ein enttäuschter Partner. Da gebe es keine „Liebe und Zuneigung“ - ein Fazit nach vier Jahren gemeinsamer Arbeit. Die Wähler sollen trotzdem glauben, dass Schwarz-Gelb zum Wohl des Landes weiterregieren muss. Rösler bleiben gut vier Monate, um mehr als die aktuellen 4 Prozent der Bevölkerung von dieser FDP-Botschaft zu überzeugen.