Analyse: Obama ist stolz auf seine Geheimdienste
Washington (dpa) - Wer glaubte, dass Barack Obama zerknirscht und im Büßerhemd auftritt, sah sich getäuscht. Kein Wort der Entschuldigung, dass sein Geheimdienst NSA seit Jahren die Daten von Millionen unbescholtenen Menschen abschöpft.
Kein Wort auch, dass das Handy von Angela Merkel überwacht wurde. Demonstrativ selbstbewusst, mit fester Stimme tritt der US-Präsident an diesem Freitag auf. Wie ein strenger Lehrer erteilt er der Welt eine Lektion, wie es nun einmal aussieht in der Welt des Terrorismus und der Geheimdienste. Tenor der Rede: Die Weltmacht muss wachsam sein. Nur wenn die USA aufpassen, lebt es sich überall sicher.
Es ist eine schwierige Rede, die Obama an diesem Freitag zu bewältigen hat, ein delikater Balanceakt zwischen den Anforderungen der Geheimdienste im Anti-Terrorkampf einerseits und dem Schutz der Privatsphäre anderseits. Sicherlich: Es ist wohl kaum der große Wurf, keine echte, tiefgreifende Reform der Geheimdienste, die der Präsident präsentiert.
Und dennoch: Mit seiner Beschneidung der NSA-Kompetenzen überwindet Obama erhebliche Widerstände und beweist Mut. Mit dem Verbot, weiterhin politische Führer befreundeter Länder auszuspähen, zeigt er politisches Augenmaß.
Es geht um mehr als nur um Geheimdienste und Spähprogramme an diesem Freitag. Es geht um das Ansehen und das Image der einzig verbliebenen Supermacht. Und es geht um Vertrauen. Wie Merkel seinerzeit sagte: „Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht.“ Dem muss Obama gerecht werden.
Doch die eigentliche Bombe an diesem Freitag zündeten Obamas Berater kurz vor dem Präsidentenauftritt im kleinen Kreis. Seit Monaten fragen sich Regierungen rund um den Globus, wer sich alles im Visier der NSA befindet. Bisher war außer Merkel lediglich die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff bekannt.
Jetzt machen Beamte erstmals das ganze Ausmaß der Aktion deutlich. Die Überwachung „Dutzender“ Staats- und Regierungschefs solle nicht fortgesetzt bzw. nicht wieder aufgenommen werden, verrieten sie Journalisten unter dem Schutz der Anonymität. Dutzende - wer hätte sich das vor einem halben Jahr noch vorstellen können?
Doch Obama präsentiert sich mit durchgedrücktem Rücken. Insider kolportieren, er selbst sei vom Ausmaß der Datensammelwut kalt erwischt worden. Ein halbes Jahr hätten seine Leute das Dickicht der Dienste durchforstet und nach Korrekturen, nach Alternativen gesucht.
Doch der Tenor seiner Rede ist klar und unmissverständlich: „Wir können unsere Geheimdienste nicht einseitig entwaffnen.“ Als „Commander in Chief“ sei er für die Sicherheit seiner Landsleute verantwortlich. „Wir entschuldigen uns nicht einfach dafür, weil unsere Dienste wohl effektiver sind“, als die der Anderen.
Und dann wirft Obama einen Blick auf manche allzu lauten Kritiker auch in Europa. Auf diejenigen, „die die NSA lautstark kritisieren, privat aber anerkennen, dass die USA als die einzige Supermacht in der Welt eine besondere Verantwortung haben.“