Analyse: Palästinenser machen mit Antrag Druck
New York (dpa) - Der Stuhl ist schon da. Ein ziemlich massives Ding aus palästinensischem Olivenholz, gut gepolstert und bezogen mit Samt, im klassischen Blau der Vereinten Nationen.
Wann jedoch für die Palästinenser aus dem Stuhl tatsächlich auch ein eigener Sitz in der UN-Vollversammlung wird, weiß auch nach drei Tagen dramatischer Diplomatie am Rande der diesjährigen Generalversammlung noch keiner.
Zumindest konnte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Freitag aber schon einmal einen großen symbolischen Erfolg verbuchen. Mit seinem Antrag auf UN-Vollmitgliedschaft, den er in einer weißen Mappe bei UN-Generalsekretär Ban Ki Moon im Büro vorbeibrachte, lenkte er Aufmerksamkeit auf die palästinensische Sache wie lange nicht mehr. Zuletzt gab es bei der UNO 1974 so großes Interesse, als PLO-Chef Jassir Arafat am Rednerpult stand, damals noch mit Pistolenhalfter.
Abbas beließ es bei seinem Auftritt beim dunklen Straßenanzug. Auch so konnte in der Vollversammlung jeder gleich erkennen, dass die Palästinenser - bislang nur simple „Beobachter“ - für ihren Wunsch nach Gleichberechtigung eine große Mehrheit der 193 UN-Staaten hinter sich haben. Noch vor dem ersten Satz erhoben sich viele Delegierte zum Applaus. Außenminister Guido Westerwelle gehörte zu denen, die sitzen blieben.
In seiner 40 Minuten langen Rede sparte Abbas dann nicht mit Vorwürfen gegen die Israelis, erklärte sich aber auch bereit zu Verhandlungen. Keiner, der einen „Hauch von Gewissen“ habe, könne den Antrag ablehnen. Damit waren nicht nur die USA gemeint, die im Sicherheitsrat mit einem Veto drohen. „Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen“, sagte Abbas. „Unser Volk wartet auf die Antwort der Welt.“
Keine Stunde später bot ihm Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Stirn. Er gab den Palästinensern die Schuld am Stillstand und klagte über permanent schlechte Behandlung durch die UNO. Einen Palästinenserstaat ohne Friedensvertrag lehnte er ab. Netanjahu versprach aber auch: „Nach einer Friedenslösung werden wir nicht die letzten sein, die einen Palästinenserstaat anerkennen. Wir werden die ersten sein.“ Der Applaus viel deutlich leiser aus.
Aber wie geht es jetzt weiter? Ban wird den Antrag nun einigermaßen zügig an den Sicherheitsrat weiterleiten, das wichtigste UN-Gremium. Bis dort eine Entscheidung fällt, dürfte es allerdings dauern. Die UN-Regularien lassen zu, dass die Sache lange in der Schwebe gehalten wird. Die palästinensischen Nachbarn in Jordanien zum Beispiel mussten von Antrag bis Aufnahme neun Jahre warten. Aber damals war noch Kalter Krieg.
Jetzt richten die 15 derzeitigen Sicherheitsratsmitglieder - darunter auch Deutschland - vermutlich einen Ausschuss ein, der prüft, ob alle Kriterien für eine Aufnahme erfüllt sind. Damit ließen sich einige Monate Zeit gewinnen, die im Idealfall für neue Friedensverhandlungen genutzt werden kann. Und Länder wie Deutschland kämen fürs Erste um eine Festlegung herum.
Parallel dazu in New York wurde eine Erklärung des Nahost-Quartetts (UN, EU, Russland und USA) veröffentlicht, mit der ein Zeitplan für Friedensgespräche festgeschrieben wird. Einige Kernpunkte hatte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy davon bereits ausgeplaudert: Aufnahme von Verhandlungen binnen eines Monats, Grenz- und Siedlungsvertrag binnen sechs Monaten, Friedensvertrag samt Einigung über Flüchtlingsfragen und den Status von Jerusalem binnen eines Jahres.
Falls der Plan aufgeht, wäre die „Zwei-Staaten-Lösung“ erreicht und der UN-Mitgliedschaft Palästinas stünde nichts mehr im Wege. Angesichts der Erfahrungen mit Israelis und Palästinensern, zwischen denen schon lange nichts mehr vorangeht, ist jedoch allen klar, wie ehrgeizig ein Frieden im Herbst 2012 wäre.
Parallel zur Prüfung des offiziellen Aufnahmeantrags gibt es immer noch eine andere Variante - dass der Status der Palästinenser zum „Beobachterstaat“ aufgewertet wird, wie ihn heute schon der Vatikan hat. Dazu bräuchten sie nur die Zustimmung der UN-Vollversammlung - kein Problem. Allerdings würde ein solches Vorgehen die Suche nach einem Frieden noch komplizierter machen als ohnehin.