Analyse: Paukenschlag von FDP-Übervater Genscher
Berlin (dpa) - Krise vorbei? Von wegen. Mit dem geplanten Wechsel an der Parteispitze von Guido Westerwelle zu Philipp Rösler haben die Turbulenzen in der FDP gerade erst begonnen.
Der Gesundheitsminister beansprucht als künftiger Vizekanzler eine Art „Richtlinienkompetenz“ für alle FDP-Minister im Kabinett, die es so bisher nicht gibt. Und FDP-Übervater Hans-Dietrich Genscher schlägt sich auf die Seite der radikalen Erneuerer der Partei.
Erstmals auch in aller Öffentlichkeit verlangte der 84-Jährige am Mittwoch mehr „neue FDP-Gesichter“. Der Paukenschlag der FDP-Ikone ist wohl platziert: Nahezu übereinstimmend wird in diesen Tagen analysiert, dass Rösler - Frontmann der „Jungen Milden“ in der Partei - nur dann eine Chance hat, wenn auch in Fraktion und Regierung die Erneuerer das Ruder übernehmen.
Der langjährige Parteichef und Außenminister unterstützt nun diese Position. Generalsekretär Christian Lindner hatte bereits am Dienstag vor der Parteiführung von einem längeren Telefonat mit Genscher berichtet. Darin machte der immer noch einflussreiche Alt-Liberale deutlich, dass er seine Partei in der Existenzkrise sieht. Dazu passt die jüngste Umfrage: Mit bundesweit nur noch etwa drei Prozent käme die FDP derzeit nicht einmal mehr in den Bundestag.
In einer Kolumne für den Berliner „Tagesspiegel“ schreibt Genscher nun Klartext. Die Partei brauche mit Rösler ein „klares liberales Konzept ... und erst dann die Entscheidung über die Persönlichkeiten, die das umsetzen sollen“. Und dann der entscheidende Satz: „Da wird es manche in der FDP geben, die selbst zu dem Schluss kommen sollten: Es ist besser, das Profil der neuen FDP durch neue Gesichter prägen zu lassen.“
Geprägt wird das Bild der FDP vor allem von den fünf liberalen Ministern im Kabinett und der Fraktionsführung. So sind seine Worte nur so zu verstehen, dass er auch dort - und nicht nur in der Parteiführung - eine Erneuerung verlangt. Mühevoll hatte die junge Garde um Rösler, Lindner und Nordrhein-Westfalens Landeschef Daniel Bahr in den vergangenen Tagen Argumentationsketten aufgebaut, die den Verbleib etwa von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger in ihren Ämtern untermauern sollten.
Dazu gehörte auch, dass Rösler in seinen ersten Interviews nach der Kür in Fraktion und Bundesvorstand nun eine Art „Richtlinienkompetenz“ beansprucht. Eigentlich arbeiten Minister in Eigenverantwortung und haben nur der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin zu folgen. Für den Vize gab es solch eine Befugnis in früheren Koalitionen nicht.
Nun machte Rösler aber gleich mehrfach klar: „Der Vizekanzler bestimmt den Kurs der FDP-Minister.“ Damit wollte er wohl den Führungsanspruch der Youngsters gegenüber der alten Garde untermauern. Nun wird wohl erst der Parteitag der FDP Mitte Mai in Rostock zeigen, wie die tatsächlichen Gewichte in der FDP verteilt sind und ob Rösler eine reale Chance hat.
Brüderle und Homburger habe sich noch nicht entschieden, ob sie noch mal für den Vize-Parteivorsitz oder einen Präsidiumsposten kandidieren werden. Sollten sie antreten und in den geheimen Abstimmungen nur mäßige Ergebnisse erzielen, wären sie wahrscheinlich auch ihre Ämter in Regierung und Parlament los - trotz der Vertrauensbekundungen in ihren Gremien am Dienstag.
„Meine Kandidatur ist ausdrücklich der erste Schritt. Weitere Schritte zur inhaltlichen, auch personellen Erneuerung werden folgen“, hat Rösler angekündigt. Sparsam im Personaleinsatz will er auf jeden Fall sein. Der Wechsel der Koordinierungsarbeit der fünf FDP-Minister vom Auswärtigen Amt zum Gesundheitsministerium soll nicht mit der Ernennung eines neuen Staatssekretärs verbunden werden.
Damit wird eine gut dotierte Kostenstelle in der Bundesregierung wegfallen, wie das die FDP im Wahlkampf 2009 immer verlangt, aber später nicht eingelöst hatte. Der bisherige FDP-Koordinator im Auswärtigen Amt, der langjährige Westerwelle-Vertraute Martin Biesel, wird trotzdem kein hoch dotierter Versorgungsfall. Er übernimmt in absehbarer Zeit die Position eines Staatssekretärs, der das Außenministerium aus Altersgründen verlässt.