Analyse: Radikale Ideen für eine „Strompreisbremse“
Berlin (dpa) - Ärgernis Strompreis: Am kommenden Dienstag wird ein neuer Rekordwert bei der Ökostrom-Umlage für 2014 bekanntgegeben. Nun gibt es neue, interessante Reformideen - die auch schon die Kanzlerin umtreiben.
Verbraucherschützer fordern eine „Bad Bank“ für Solarstrom-Gelder.
Stromsteuer senken! Die Versorger zu niedrigeren Preisen zwingen! Rabatte für Aluminiumhütten und Stahlwerke kappen! Diese Vorschläge sind alle nicht neu. Sie gehören angesichts des neuen Rekordwerts bei der Ökostrom-Umlage jetzt wieder zum recht vielstimmigen Chor der Forderungen an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Ihr Nutzen ist umstritten. Aber es gibt auch andere, radikale Ideen, die den Strompreisanstieg nachhaltig dämpfen könnten.
Klar, die Energiewende mit dem Atomausstieg bis zum Jahr 2022 und 80 Prozent weniger klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2050 ist nur mit mehr Wind- und Solarparks zu schaffen. Aber jahrelang haben viele Anlagenbesitzer sichere Renditen eingefahren und tun das weiterhin - das schlägt sich in den Strompreisen nieder. Die neue Ökostrom-Umlage wird am Dienstag (15.10.) offiziell bekanntgegeben, aber es ist bereits durchgesickert, dass für das Jahr 2014 ein Rekordwert von 6,3 Cent je Kilowattstunde (kWh) bekanntgegeben wird. 2010 waren es erst 2 Cent.
Eine vierköpfige Familie mit 4000 kWh Jahresverbrauch muss 2014 nach Verivox-Berechnungen statt bisher 1110 mit 1189 Euro im Jahr rechnen. Der Staat kann sich bei diesem Beispiel sogar über 13 Euro mehr an Mehrwertsteuer freuen - er ist sozusagen stiller Nutznießer des Umlage-Anstiegs. Ohnehin kassiert er bei jeder Kilowattstunde zusätzlich 2,05 Cent Stromsteuer - damit werden die Rentenbeiträge finanziert. Nicht nur die Bürger, sondern gerade auch die nicht mit Rabatten gesegneten mittelständischen Firmen ächzen unter der Last.
Die von Ex-Umwelt-Staatssekretär Rainer Baake geführte Denkfabrik „Agora Energiewende“ hat nun einen Vorschlag für eine radikale Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes („EEG 2.0“) vorgelegt, der die EEG-Umlage mindestens stabilisieren könnte. Merkel hat das Modell im Sondierungsgespräch mit den Grünen gleich zur Sprache gebracht. Für neue Anlagen soll es demnach eine Vergütungs-Obergrenze von 8,9 Cent je kWh geben. Das könnte aber nur noch neue Windkraftanlagen an Land im Norden und Solarparks im sonnenreicheren Süden rentabel machen.
Um die Kosten fairer zu verteilen, sollten zudem bisher befreite Unternehmen an der EEG-Umlage in Höhe von 0,5 Cent je Kilowattstunde beteiligt werden, da sie stark von den dank mehr Ökostrom gefallenen Preisen im Stromeinkauf profitierten. Zudem solle es Rabatte nur noch für Firmen geben, „die im internationalen Wettbewerb stehen und energieintensiv sind“, fordert das Team um Grünen-Mitglied Baake.
Angesichts der Komplexität des Problems gibt es keine Denkverbote mehr - es ist eine dieser Paradoxien der Energiewende, dass Strom im Einkauf immer billiger, für die Endkunden aber immer teurer wird. Ein Beispiel: Gibt es wie derzeit nur 4 Cent für den Strom, sind aber für eine 2012 ans Netz gegangene Solaranlage 19,50 Cent Vergütung fällig, werden 15,50 Cent über die Umlage auf die Verbraucher abgewälzt. Der Einbruch der Börsenstrompreise ist hauptverantwortlich für den neuen Anstieg: Auch ohne eine neue Solaranlage wäre die Umlage gestiegen.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind Kürzungen der im EEG auf 20 Jahre garantierten Vergütungen bei bestehenden Anlagen kaum möglich. Der Energieexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband, Holger Krawinkel, sieht trotzdem nicht nur Chancen zur Stabilisierung der Umlage, sondern sogar zu einer Halbierung auf drei Cent je Kilowattstunde. Er fordert dafür eine Übertragung der gesamten Solarvergütungskosten in einen „Ökostrom-Altschuldenfonds“. Sie machen 10 der derzeit 20,3 Milliarden Euro Umlagekosten pro Jahr aus.
Der Ökostrom-Fonds soll über Steuermittel zwischenfinanziert werden und Jahr für Jahr die Milliardensummen für Solaranlagen stemmen. „Das wäre eine Art Bad Bank“, erklärt Krawinkel. Da das Finanzamt über die Steuererklärung genau wisse, wann eine Solaranlage abgeschrieben sei (oft nach etwa 15 Jahren), sollten schrittweise die Besitzer für die restliche Betriebsdauer (meist noch 25 Jahre) wegen der jahrelangen Förderung zu Betriebsabgaben verpflichtet werden.
Krawinkel nennt 5 Cent je Kilowattstunde als Abgabesumme, um den Fonds zu tilgen - so könne das vorgestreckte Steuergeld zumindest schrittweise dem Haushalt zurückfließen. Da das nicht reichen wird, könnten auch die von guten Renditen profitierenden Windanlagenbesitzer im Norden zur Finanzierung herangezogen werden. Doch reicht das zur Tilgung? Immerhin würde sich der Fonds laut Krawinkel wegen der 20-Jahre-Fördergarantie bis 2030 auf 150 Milliarden Euro summieren. Agora-Chef Baake geht davon aus, dass am Ende nur neue Schulden stünden: „Der Fonds würde finanzielle Lasten nicht verschwinden lassen, sondern in die Zukunft verlagern.“