Analyse: Seehofer auf schmalem Euro-Grat
München (dpa) - Die endlose Euro-Krise bringt die Bruchlinien in der Union zum Vorschein. CSU-Chef Horst Seehofer fährt in der Euro-Krise einen erkennbar anderen Kurs als Kanzlerin Angela Merkel - doch zu einem offenen Konflikt soll es nicht kommen.
Mit einer Protokollerklärung im Bundesrat hat sich Bayerns CSU/FDP-Koalition festgelegt, dass es über die jetzigen Rettungsschirme und den geplanten dauerhaften Rettungsmechanismus ESM hinaus keine weitere Ausweitung der Hilfen für die Schuldenstaaten mehr geben soll. Doch genau das wird jetzt schon wieder diskutiert, weil viele Ökonomen und Politiker bezweifeln, dass die Rettungsschirme groß genug sind.
Aus Sicht seiner Kritiker in CDU und Opposition fährt Seehofer damit einen populistischen Kurs. In der CSU selbst wird das ganz anders gesehen: als gemäßigte Position, die einen offenen Krach mit Merkel vermeiden hilft. „Deutschland sagt ja zu solidarischer Hilfe, aber kann nicht der Rettungssanitäter für Europa sein, der dann selbst im Krankenhaus liegt“, sagt Bayerns Staatskanzleichef Marcel Huber. Bayern gehe „ganz bewusst einen Mittelweg“.
Seehofer und die CSU wandeln derzeit auf einem schmalen Grat zwischen zwei Polen: Seehofer muss ebenso Rücksicht auf die Kanzlerin nehmen wie auf die Stimmung an der CSU-Basis. Dort geht sehr vielen schon die jetzt beschlossene Ausweitung des EFSF zu weit.
Den Balanceakt macht Seehofer selbst deutlich: Die aktuelle Ausweitung des Euro-Schirms EFSF trage Bayern zwar mit, betonte er am Freitag im Bundesrat. „Weitere Aufstockungen oder größere Risiken aus den übernommenen Garantien, beispielsweise über finanztechnische Hebel, lehnen wir jedoch ab.“
Der Knackpunkt heißt in diesem Falle „Hebel“. Weil der mit 440 Milliarden Euro ausgestattete EFSF nach Einschätzung vieler Fachleute immer noch zu klein ist, wird intensiv darüber nachgedacht, mit Hilfe weiterer Geldgeber und Finanzkonstrukte eine Aufstockung möglich zu machen - ohne dass Kapital und Haftungsvolumen erhöht werden.
Das Thema „Hebelung“ (englisch: leverage) spielte schon in der Finanzkrise 2008 eine Rolle. Deren Hauptauslöser war nach einer heute verbreiteten Einschätzung unter Volkswirten ein allzu großes Ausmaß der „Hebelung“ in der Finanzbranche.
Über solche Konstrukte denkt inzwischen auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach. Faktisch bezog Seehofer im Bundesrat somit Gegenposition zu Schäuble. Im Interesse des Koalitionsfriedens will die CSU nicht laut darüber spekulieren, welche Gefahren der Berliner Koalition drohen, wenn noch mehr Milliarden für die Euro-Rettung gebraucht werden. „Das jetzige Volumen der Rettungsschirme halte ich für ausreichend“, sagt CSU-Europagruppenchef Markus Ferber. „Von daher beteilige ich mich an der Diskussion über eine hypothetische weitere Ausweitung nicht.“
Wie sehr es an der CSU-Basis wegen der Euro-Rettung rumort, zeigt auch die plötzliche Popularität des Euro-Rebellen Peter Gauweiler in der Partei. Gauweiler kandidiert auf eigene Faust für den Posten des Partei-Vize, sehr wahrscheinlich gegen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Gauweilers Bewerbung hat eine solche Welle der Begeisterung in der CSU ausgelöst, dass er mittlerweile nach übereinstimmender Einschätzung vieler CSU-ler klarer Favorit gegen Ramsauer ist.